Wendel und das Bewerten

Schon wieder komme ich nicht umhin, den Kollegen Wendel für seinen aktuellen Artikel zu loben. Wie soll man mit den Tango-Lernenden umgehen? Nett oder ehrlich – oder beides?“ betitelt er seinen Beitrag:

https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-22-teil/

Wie deutlich darf man im Kurs kritisieren? Tue man es zu wenig, erzeuge man eine falsche Zufriedenheit. Im anderen Fall riskiere man einen seelischen Absturz. Aber ein Tangolehrer, der nur lobe, sei keiner.

Tja, wem sagt er das? Lehrkräfte an den üblichen Schulen trifft es noch härter: Sie müssen Noten erteilen. Daher unsere flächendeckende Beliebtheit.

Interessantes erfahre Wendel, wenn er seine Leute nach dem soeben besuchten Workshop irgendeiner Tango-Berühmtheit befrage. Was da eigentlich auf dem Lehrplan stand, wissen sie zwar nicht mehr genau, aber die Unterrichtenden seien „soo nett“ gewesen:

„Und dann entsteht dieser seltsame Starkult, in dem es nicht mehr so sehr darum geht, was vermittelt wurde, sondern wie sich’s angefühlt hat. Tango als Kuschelbühne.“

Bei den ADTV-Tanzschulen gebe es die Vorschrift, niemals negativ zu kritisieren: „Statt wirklichem Lernen geht es in erster Linie um ‚lustige Kursabende mit netten Leuten und super-netten Lehrern‘. Der Tanzunterricht wird zum Stimmungsmanagement. (…) Deshalb sehen viele ADTV-Schüler auch nach Jahren des Übens aus wie unbeholfene Hopplhäschen.“

Wobei ich hinzufüge: Beim aktuellen Tango wird nicht mal mehr gehoppelt, sondern geschlichen.

Wie zu erwarten plädiert Wendel für ein „Mittelding“: „Ein Lehrer muss sagen, was Sache ist, aber ohne das Bedürfnis, sich an seinen Schülern abzuarbeiten.“

Sicherlich kann man da einen Haken dranmachen. Wobei ich hinzufüge: Vom vielen Reden lernt man nicht Tango. Wenn wir bei uns zu Hause üben, vermeiden wir große Diskussionen. Stattdessen tanzen wir in möglichst vielen Kombinationen und Rollen zu unterschiedlichster Musik. Man spürt dann oft, was nicht passt, und versucht es zu ändern. Bis der andere glücklich und entspannt wirkt – und man sich auch selber wohlfühlt. Aber ich weiß, das gilt nicht – da fehlt die große, klugscheißende „Expertise“.

Ich kann den Autor aber durchaus bestätigen: Was er schildert, beschreibt die Misere des Tangounterrichts hierzulande treffend: Viele Workshops, wenig Nutzen. Daher werden sich die Offiziellen hüten, darauf einzugehen.

Bereits in einem anderen Aufsatz hat sich Wendel treffend zum Bewerten geäußert:

„Ich finde es schwer, Tango zu bewerten. Vielleicht, weil ich weiß, wie viel in einem Tanz nicht sichtbar ist. Die Verbindung, die Spannung, die Intention – all das kann man nicht einfach abhaken wie bei einer Prüfung. (…) Deshalb glaube ich: Wer Tango bewerten will, braucht nicht nur Wissen und Technik. Sondern auch Einfühlungsvermögen. Und Respekt – besonders vor jenen, die einfach mit Freude tanzen, ohne Anspruch auf Perfektion.“

https://www.tangocompas.co/tango-bewerten-oder-abwerten/

Sicherlich muss man da auch als Satiriker in sich gehen: Wo ist es noch Spaß an der Blödelei – und ab wann läuft man Gefahr, Mitmenschen böse abzuwerten? Glücklicherweise verfüge ich über einen dimmbaren Heiligenschein und behaupte daher nicht, stets alles richtig zu machen.

Klaus Wendel ist trotz seiner behaupteten Gutmenschen-Attitüde teilweise mit blankem Hass über Videos von mir hergezogen. Kostprobe aus seinem Kommentar zu dieser Aufnahme:

https://www.youtube.com/watch?v=gWMf_1AXvvw

„Ich habe mir dieses Video nochmal angesehen und versucht Ihre Sichtweise nochmal zu überprüfen. Ich kann hierbei nur selten eine Übereinstimmung und auch nur in nur wenigen Musikteilen entdecken, wie Sie sie beschreiben. Ob sie gewollt oder zufällig ist, kann ich nicht sagen, ich vermute jedoch letzteres. Ich kann offensichtlich kaum einen Zusammenhang zwischen Musik und Tanz entdecken, außer, dass beides bei der Aufnahme zeitgleich zu passieren scheint. Wenn Sie das können, dann ist es ja gut: Aber ich nicht!
Also, wenn Sie in diesem ‚Tanzgewusel‘ des Videos gelegentliche zufällige Übereinstimmung mit Achtel- und Sechzehntel Noten erkennen können, erachte ich diese Übereinstimmungen nicht als gewolltes, beeinflusstes, musikalisches Tango-Tanzen. Aber da zieht ja die persönliche Meinung und Geschmack immer eine Trennlinie zu überprüfbaren Fakten. Aber wenn das alles so beliebig ist, warum macht man dann ein Tutorial über Musikalität?
Wenn mir irgendjemand weiß machen will, dass dies ein musikalisch getanzter Tango ist, müsste ich an meiner Urteilsfähigkeit verzweifeln. Aber das tue ich nicht. Wenn Sie eine ausgiebigere Begründung wollen, dann gern privat, aber ich möchte hier Herrn Riedls Tanz nicht völlig demontieren, weil es mir, wie es Ihnen und auch Herrn Riedl vielleicht entgangen ist, nicht um Tanz geht, sondern um sein Video, das ich als langjähriger Tangolehrer als völlig nutzlos betrachte.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/08/faktencheck-phrasierungen.html

Schön, dass der Autor meinen Tanz nicht „völlig demontieren“ wollte… Und natürlich auch nicht die Tänzerin, die es wagte, sich öffentlichem Gegeifer auszusetzen.

Bis heute haben solche Texte sprachlich minderbegabte Trottel ermutigt, sich an dem Video ebenfalls ihr Maul abzuwischen.

Ende der Polemik!

Ich glaube, wir kommen dank unserer Natur nicht um das Bewerten herum. Schon unsere Vorfahren mussten in Sekundenschnelle einschätzen, ob der Säbelzahntiger nur auf dem Heimweg war oder Hunger hatte. Oder ob der arabisch wirkende Passant heute im nächtlichen Park nur einen Joint oder doch ein Messer dabeihat. Respektive nur ein Krankenpfleger auf dem Weg zur S-Bahn ist.

Und für einen Satiriker wäre die Welt ohne Bewertungen öd und leer. Nur meine ich, dass uns dies alles nicht davon freispricht, ein Minimum an menschlichen Anstand zu bewahren.

Aber vielleicht habe ich im konkreten Fall den Fehler gemacht, Klaus Wendel für seine Expertise nicht zu bezahlen. Möglicherweise wäre sie dann netter ausgefallen!

Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Riedl,
    Sie werfen mir regelmäßig „Hass“ vor – diesmal sogar Korruption. In Ihrer Lesart müsste ich also bezahlt werden, um Lob zu verteilen. Nun ja, in diesem speziellen Fall wäre ein Lob unbezahlbar gewesen.
    Im Ernst: Ich wundere mich eher, dass Sie selbst immer wieder mein altes Urteil über Ihr Video hervorholen und damit erneut ins Rampenlicht stellen. Das zeigt doch, dass meine Kritik offenbar mehr Substanz hatte, als Ihnen lieb ist. Heute würde ich sie sprachlich sicherlich anders formulieren – aber inhaltlich wohl noch klarer und schärfer.
    „Hass“ kann ich darin beim besten Willen nicht erkennen. Vielleicht verwechseln Sie ihn einfach mit etwas anderem: meinem Mitleid.
    Mit verbindlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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  2. Herr Wendel,
    Sie irren mal wieder unter örtlicher Betäubung durch die deutsche Sprache: Mitleid mit uns würde voraussetzen, dass wir Leid empfinden. Im Gegenteil: Uns hat der Tanz damals großen Spaß gemacht, und uns gefällt das Video immer noch. Sonst hätte ich es längst gelöscht, anstatt immer mal wieder darauf hinzuweisen. Speziell, wenn irgendein Depp meint, mich damit erneut ärgern zu können.
    Übrigens hat Sie damals niemand gebeten, Ihre „Expertise“ dazu abzugeben. Die Frage ist, wieso einige es dennoch getan haben. Vielleicht, weil Sie und andere darin das schwer definierbare Etwas sehen, was sie selber nicht hinbekommen: mit Freude und Hingabe die Musik zu genießen. Mit Gefühl zu tanzen. Stattdessen betreiben Sie Gehirnakrobatik und meinen, so dem Tango nahezukommen. Schade!
    Aber bemitleiden werde ich Sie deshalb nicht. Sie haben sich freiwillig einen Beruf ausgesucht, für den Sie wenig Begabung haben. Das müssen Sie mit Gezeter gegen andere kompensieren.

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