Müder Touri-Tango
In meinem Tangobuch habe ich das Elend bereits vor vielen Jahren beschrieben:
„Das Label ‚IBAG‘ (‚in Buenos Aires gewesen‘) gilt inzwischen als absolutes Qualitätssiegel – so wie bei Moslems die mindestens einmal im Leben zu absolvierende Pilgerfahrt (Hadsch) nach Mekka (kennen wir als Karl May-Leser doch von ‚Hadschi Halef Omar‘).“
Wie wird uns dort der Tango verkauft? Viel Spaß machte mir ein Video des Senders „Kabel eins“ mit dem Titel:
„Müder Touri-Tango enttäuscht auf ganzer Linie ‚Das wars GAR NICHT‘"
In der Beschreibung heißt es: „Buenos Aires ist die Geburtsstätte des Tangos: Der legendäre Paartanz wird hier nicht nur praktiziert, sondern auch gelebt. Wo, wenn nicht hier, sollte man also eine professionelle Tangoshow besuchen? Peter zeigt, worauf Sie achten sollten, wenn sie authentischen argentinischen Tango erleben möchten.“
Der Privatfernseh-Peter sondert im Aufsager, wie zu erwarten, zunächst ein wenig Tangoklischee ab („Ein Tanz, der knistert, vor Erotik, von Sinnlichkeit“) Dazu kurvt ein Vortanz-Paar auf einer ausgelegten Fußmatte umher – mich wandeln Erinnerungen an Ingolstadt an!
Dieses Gefühl, so werden wir jedoch gewarnt, sei in Buenos Aires gar nicht so leicht zu finden. Man habe es aber trotzdem versucht. Na dann!
Tickets für Tangoshows biete man an jeder Straßenecke an. Unser Reporter landet an einem Tresen, wo er von einer Fachkraft beraten wird: Die Show sei gut und traditionell. (Bereits das hätte ihn freilich warnen sollen!) Ohne Essen kostet der Spaß 70 Dollar. Zu viel, wie der Kunde zu Recht meint.
Nächster Tresen, neues Glück! Die Verkäuferin (Typus Schießbuden-Tonröhrlaufsteckerin) klärt auf. Auch hier wird versucht, dem Kunden zusätzlich zur Show ein Menü aufzuschwatzen. Hier kostet die Show allein 50 Euro (mit Shuttle-Service). Ein Bier gab es für 12 Euro. Allerdings hatte man das Reporter-Team auf die hintersten Plätze verbannt. Die rund 60 Minuten Darbietung machten den Eindruck: „mehr Stepptanz als Tango“. Eine „billige Kopie von Eva Perón“ inklusive.
Die Verkäuferin, bei der sich der Reporter danach beschwert, gibt zu: Na ja, das sei halt eher so eine Art „Broadway-Show“. Es gebe aber auch Aufführungen mit mehr Tango. Auch dazu wird aber – wieder mal – ein Abendessen empfohlen.
Schließlich landet der Journalist in einer angeblich typischen Veranstaltung, wo er in der Garderobe sogar zwei Tänzerinnen interviewen darf:
Was Tango für die Menschen hier bedeute? Als Strafe für die dämliche Frage kriegt der Kabel 1-Mann den üblichen PR-Schmus aufgetischt: Für die Darstellerinnen sei Tango „eine Art Lebensform“, und das alles komme aus der Zeit, in der dieser Tanz entstanden sei und dann in der ganzen Welt berühmt wurde. Eine gute Show bringe Tango „in seiner traditionellsten Form“ zum Ausdruck, zeige aber auch moderne Elemente. Na, dann ist ja alles dabei… inklusive Abendessen!
Immerhin gibt es für 66 Euro zur Show ein Drei-Gänge-Menü plus Getränke. „Por una Cabeza“ wird zur Begeisterung des Reporters vorgeturnt.
Und eine Website hat man auch: https://tangoporteno.com.ar/esp
Schließlich folgt der Reiseexperte dem Tipp, eine Milonga zu besuchen – für 3 Euro Eintritt. „Touristen verirren sich nur selten hierher – hier tanzt Buenos Aires ganz privat“. „Echter“ gehe argentinischer Tango nicht. Dass es solche „Tanztees“ mit Tradi-Musik und Sparschritten auch bei uns um die Ecke gibt, wird lieber nicht verraten. Die Zuschauer sollen ja Urlaubsreisen buchen.
Zum Schluss kommt nochmal was mit „Erotik, Sinnlichkeit, Emotion“ – nicht, dass wir es inzwischen vergessen haben…
Das sei „das Original und keine Show für Touristen“. Nun habe man ihn gefunden, den Tango argentino.
Ja doch…
Auch in meiner noch unbedarften Anfängerzeit hätte mich ein solcher Bericht zuverlässig davon abgehalten, ins Tango-Mekka zu pilgern. Zu viel Hochglanz-Werbung, zu viel Geschäft und Touri-Abzocke.
Mich erinnert das an den Käse, mit dem man in manchen oberbayrischen Kurorten auswärtige Besucher mit krachledernen „Heimatabenden“ ruhigstellt. Schuhplattler als Traditions-Ersatz: „De blede Bayernshow“. Niemand kann diese so veralbern wie die geniale „Biermösl Blosn“:
https://www.youtube.com/watch?v=dXV2avTlXb0
Klar, das einst reiche Argentinien wurde durch eine Reihe unfähiger Regierungen zugrunde gerichtet. Verständlich, dass man nach dem Tango als Einnahmequelle greift und ihn nach dem Touristen-Gusto verunstaltet. Ich finde es aber besser, internationale Organisationen zu unterstützen, welche Entwicklungshilfe leisten und sich um sozial Schwache kümmern.
Reisen oder Tanzen muss man dazu nicht.
Und nun viel Spaß mit dem Video:
https://www.youtube.com/watch?v=1fHRacCO-wo
P.S. Um gewissen Kommentaren vorzugreifen: Klar, liebe Leserinnen und Leser, speziell Ihre Tango-Fachkräfte veranstalten natürlich Wallfahrten, die nichts als das wahre Buenos Aires zeigen, unverstellt und authentisch. Daran habe ich nie gezweifelt!
In diesem ansonsten durchschnittlichen Artikel ist mal kurz ein interessantes Thema aufgeblitzt - wie das einst reiche Argentinien von einer Serie sozialistischer Regierungen zugrunde gerichtet würde. Aber Politik ist ja nicht so Deins, Du hast ja immer nur Themen mit strikten Tangobezug...oh, Moment...
AntwortenLöschenBeste Grüße
Yokoito
Schade, dass deine Fähigkeit zur Themenerfassung so schwach ausgeprägt ist. Daher nur so viel: In Argentinien herrschten auch rechte Regimes, speziell die Militärdiktatur von 1976 bis 1983.
LöschenZur Info: In meinem Text ging es um die Auswirkungen des Tango-Tourismus. Vielleicht einfach nochmal nachlesen!
Ansonsten habe ich immer wieder betont, dass ich auch Artikel ohne Tangobezug schreibe. Wäre in der Sidebar links v.a. unter „Off Topic“ zu finden.
》kenne wir als Karl May-Leser doch ..《
AntwortenLöschenHaha, erst neulich wurde von diesem Autor mehrfach bekundet, dass er seine Texte erst mittels "Word" auf orthografische Korrektheit überprüft und dann seine Gattin nochmals den Text in dieser Hinsicht gegenliest.
Und dann das: 》kenne wir《 !!!
Wie peinlich! Es handelt sich doch um die ERSTE PERSON PLURAL!
Diejenigen mit einem Funken Rechtschreibkenntnis schreiben also:
》kennen wir als Karl May-Leser doch ..《
Leider fürchte ich, dass Du Dich zu dieser Gruppe nicht zählen darfst. (Karl May-Leser darfst Du weiterhin gerne bleiben :-D )
Aber es besteht ja Hoffnung, denn Du darfst in Deinem nächsten Blog-Artikel das Verb "kennen" 100 mal durch alle Personen durchdeklinieren. Damit das nicht zu peinlich wird, darfst Du dazu anmerken, dass jener Text ja nur wieder eine Satire von Dir wäre.
Und keine Sorge: Ich werde ganz bestimmt über diese lachen!
Mit fröhlichen Grüssen aus Luxembourg,
P. Paal
Tja, so kann man auch mit kleinen Sachen den lieben Kindern Freude machen!
LöschenVielen Dank, ich hab's korrigiert!
Lieber Herr Riedl,
AntwortenLöschendie Sendung „Achtung Abzocke“ lebt davon, Touristenfallen möglichst drastisch darzustellen – schon der Titel verpflichtet. Natürlich sucht man sich die schlimmsten Beispiele, das gehört zum Konzept.
Wer ohne ortskundige Begleitung in Buenos Aires Tango „finden“ will, landet unweigerlich in genau solchen Schuppen. Taxifahrer und Provisionen sorgen dafür. Dass die Sendung keinen Milonguero als Begleiter wählte, liegt auf der Hand: dann wäre das Klischee geplatzt.
Aber was wollen Sie mit Ihrem Artikel eigentlich sagen? Dass ein Tourist, ohne selbst zu tanzen, in einer Milonga nur gelangweilt herumsitzt? Dass man so „den echten Tango“ erkennen könne? Gerade diese Sendung widerlegt doch Ihre Denkweise: Sie vermischen Klischee-Bühnentango und Real-Tango noch immer.
Und was ist eigentlich der negative Aspekt am Tango-Tourismus? Für viele verarmte Argentinier ist er eine der wenigen Einnahmequellen nach dem Milei-Kahlschlag.
Es gibt Milongas, die ihren Gästen – meist Einheimischen – viel bieten: gutes Essen, Unterricht oder Practicas, kleine Shows, Gesang, Tanz. Wer früh da ist, bekommt dort auch Qualität fürs Geld.
Dass Sie nun eine billige Privatsender-Sendung zur Bestätigung Ihrer Buenos-Aires-Phobie heranziehen, spricht Bände. Fernsehen einschalten und Vorurteile bestätigt bekommen, ist ungefähr so, als würde man die argentinische Küche bei McDonald’s testen.
Niemand zwingt Sie, nach Buenos Aires zu reisen. Aber wenn Sie Tango aus Pörnbach, vom Sofa aus, via YouTube-Universität und Blogger-Kommentaren „erleben“, dann nennen Sie das bitte nicht Erfahrung. Mir jedenfalls hat Buenos Aires die Augen geöffnet – und Tango verständlich gemacht auf eine Weise, die man von hier aus nicht einmal erahnen kann.
Kleiner Reisetipp: Wer neue Länder ohne Risiko kennenlernen will, dem reicht das Traumschiff im ZDF – am besten gleich mit Spendenmöglichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Lieber Herr Wendel,
Löschenleider darf ich jetzt nicht aus einer privaten Mail zitieren, in der Sie mir eine etwas andere Erfahrung geschildert haben.
Na gut, sei's drum.
Klar ist das Privat-Fernsehen. Mich hat es grade deswegen amüsiert - und vielleicht einige Leserinnen und Leser auch.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Wenn Sie da auf einen Brief am 23.1.2021 ansprechen, da kann ich aber entgegnen, dass die ersten Besuche sehr angenehm waren, allerdings die letzten aus persönlichen Erfahrungen nicht so gut. Ich schrieb:"Ich muss sagen, dass ich diese Erfahrung erst bei meinem letzten Besuch in B.A. gemacht habe und mir die Lust auf weitere Besuche verhagelt hat. Die ersten Erfahrungen waren viel besser, entspannter." Und von diesen ersten schreibe ich hier. Die letzte Erfahrung 2003, weil die Milonguero/as in Buenos Aires vermutlich sehr genervt waren von der Flut an Tango-Touristen. Das soll sich aber inzwischen gelegt haben, weil sie ja auch Geld ins Land bringen.
AntwortenLöschenMit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Darf ich aus Ihrer Mail vom 23.1.21 zitieren?
LöschenNein, ich möchte diese Geschichte, die ich dort erlebte, nicht öffentlich machen.
AntwortenLöschenKlaus Wendel
Ah so.
AntwortenLöschenSie finden zwar nichts dabei, mein Blog regelmäßig zur Verkündung Ihrer komischen Ansichten zu verwenden – aber wenn es einmal zur Sache geht, wird jämmerlich gekniffen.
Warten Sie ab, wie es weitergeht!