Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 19
Bekanntlich
ist meine Lieblingsbeschäftigung auf Milongas – wenn ich nicht selber tanze – anderen Paaren zuzusehen. Ich habe
dabei mehr gelernt als in den (wenigen) Kursen, die ich besuchte.
Was
mir häufig auffällt – vor allem, wenn Anfängerinnen von erfahreneren Tangueros
betanzt werden: Die Männer machen sehr
kleine Schritte. Der Grund ist wohl vor allem, dass sie die Damen nicht
überfordern wollen. Tun sie aber – gerade dadurch!
Natürlich
gibt es für dieses Phänomen eine Reihe weiterer Gründe: Vor allem eigene Unsicherheit, die Furcht, zusammen das
Gleichgewicht zu verlieren – oder natürlich zu wenig Platz auf dem Parkett.
Und
gerade auf sehr stark reglementierten
Tangoveranstaltungen herrscht der Zwang, ja nicht zu überholen, sodass
sich das Gesamttempo – wie auf Schul-Wandertagen – an den größten Langweiler in der Ronda anpasst. Was
bleibt einem anderes übrig als die dafür typischen Mini-Schrittchen, gepaart mit
ständigen Stopps und ein wenig Dreherei auf der Stelle?
Ich
habe dies in einem früheren Artikel anhand eines Encuentro-Videos einmal in Zahlen gefasst: Dort liegt die Schrittlänge des Tanzens bei zirka 12,5 cm, während sie in der Literatur
beim Gehen zwischen 63 und 73 cm beziffert wird. Die
durchschnittliche Geschwindigkeit auf dieser Piste beträgt 0,25 km/h, während das „Schritttempo“ des Menschen normalerweise
mindestens 3,6 km/h ausmacht.
Nochmal
zum Mitschreiben: Diese Encuentro-Tänzer erreichen nur knapp 20 Prozent der normalen Schrittlänge und 7
Prozent der Schrittgeschwindigkeit ihrer
Spezies!
Das
kann man nicht mehr als „natürliche menschliche
Fortbewegung“ bezeichnen. Aber auch für das Tangotanzen gilt: Aktionen, die
zu stark von unserer biologischen Basis
abweichen, sind ungesund, tun weh oder sehen bescheuert aus.
Gerne
werden in solchen Kreisen Befürchtungen laut, gerade bei einer Pugliese-Tanda
könnten die Tanzenden ihre „Siebenmeilenstiefel“
auspacken. Wie schrecklich – das könnte ja geradezu in einer Musikinterpretation enden…
Also,
liebe Männer: Erwachsene Frauen sind
durchaus in der Lage, Schritte (auch
nach hinten) einer Länge von zirka 60 bis 70 cm hinzubekommen!
Der
Vorteil liegt vor allem darin: Die Führung wird deutlicher. Gerade weniger routinierte Tänzerinnen checken schlicht
kleinere Impulse wesentlich schlechter. Und beachten Sie: Die Richtung der Aktion muss absolut klar
sein: vorwärts, seitwärts, rückwärts – und nicht irgendwie ein bisschen schräg…
Es ist wie bei einem Gespräch: Flüstern, Nuscheln oder Murmeln erzeugen eher Missverständnisse als eine klare, deutliche Kommunikation.
Es ist wie bei einem Gespräch: Flüstern, Nuscheln oder Murmeln erzeugen eher Missverständnisse als eine klare, deutliche Kommunikation.
Gerade
bei den Herren fällt mir oft eine „gschlamperte“ Fußtechnik auf, beispielsweise beim Schließen: Eine
Seit-Schluss-Seit-Aktion etwa erfordert einen sauberen Schlussschritt und einen
deutlich fühlbaren Belastungswechsel, nicht ein unvollständiges bzw. diffuses
Heranziehen. Wie gesagt: Das geht alles zu Lasten der Deutlichkeit von Impulsen!
Gerade
unsichere Tangueras muss man durch Bewegung
„beschäftigen“: Tanze ich
klein-klein, und bei ihr reißt der Kontaktfaden, hat sie genügend Zeit, sich zu verkrampfen. Induziere ich dagegen
große, fließende Aktionen, bleibt
ihr gar nichts anderes übrig, als halbwegs entspannt mitzumachen.
Und
lassen Sie die ständigen Stopps, gerade
bei langsamen, fließenden Tangos oder Walzern! Es gilt das Prinzip der Impulserhaltung – Energie, die Sie killen, müssen Sie nachher mühsam wieder
erzeugen!
Tango
ist ein Schreittanz: Also schreiten
Sie, und zwar vorwärts und mit
Schritten oberhalb des Zentimeterbereichs! Dies geht am effektivsten, wenn Sie „inside“ tanzen, also in die Bewegung
der Partnerin hineingehen. Das erfordert mehr Mut, bringt aber halt auch bessere Ergebnisse. Was man leider in der Praxis eher sieht, ist das
Geeiere um die Partnerin herum, das
nicht wirklich vorwärts führt. Zentrieren Sie Ihre Energie auf die eigene Körpermitte und die der Tänzerin.
Näheres
auch hier:
Vor-
und Rückwärtsschritte müssen einspurig
verlaufen – das übliche breitbeinige Gehatsche dagegen zieht durch die
Seitwärtsaktionen die Energie aus der Hauptrichtung. Das gilt ganz allgemein: Je
mehr Nebenbewegungen, desto
schwächer wird Ihr Tanz in den zentralen Aktionen!
Da
fehlt ja schon der Platz, damit die Schritte groß genug werden können. Apropos:
Was, wenn auf der Piste nicht genug Platz
ist? Mein Tipp: Besuchen Sie andere
Milongas – es gibt genug Veranstaltungen, die schwach frequentiert sind und
sich über neue Gäste freuen.
Wenn Du so eindeutige Vorgaben zur Tanzhaltung (Vorwärtsneigung ) und Schritten machst (Vorwärtsschritte auf der Ferse), dann kann ich hier nicht zustimmen. Es ist EINE Möglichkeit klaren Kontakt zum Partner zu halten, aber es gibt andere, die insbesondere im Neotango zum tragen kommen. Es bleibt natürlich richtig, dass ein deutlicher Kontakt vorhanden sein muss, um Unsicherheiten zu vermeiden. Wenn die Schritte nicht groß genug sind, bzw. sein können, dann muss man dies unbedingt bei der Kontaktehaltung berücksichtigen - ist ja klar. Aber man kann auch deutlich kleinschrittig tanzen. - Frank Becker aus Wuppertal
AntwortenLöschenLieber Frank Becker,
Löschenich hoffe, es ist klar geworden, dass ich Vorwärtsschritte auf den Ballen favorisiere? Vielleicht war die Formulierung etwas missverständlich – ich habe es nun noch deutlicher ausgedrückt.
Ansonsten mache ich keine „Vorgaben“, sondern gebe Tipps aus meiner tänzerischen Praxis. Und klar kann man die Verbindung im Paar auch ohne Apilado hinbekommen, im Neotango selbst bei Auflösung der Tanzhaltung, oder mal – je nach Musik – sehr kleine Schritte tanzen.
Ich meine allerdings weiterhin, dass am Anfang große Bewegungen einfach klarere Impulse senden – daher empfehle ich sie in solchen Fällen. Richtige Könner dagegen kriegen so ziemlich alles hin – auch ohne sich um meine Ratschläge scheren zu müssen.
Danke für den Beitrag und beste Grüße
Gerhard Riedl