Peter Ripota: Eine ansteckende Krankheit
Diese für das heutige Tangomilieu nicht untypische Geschichte hörte ich gestern von meinem Tangofreund Peter Ripota. Ich bat ihn spontan, sie aufzuschreiben – man muss solche Dinge dokumentieren, sonst glaubt’s einem irgendwann keiner mehr…
Wie entsetzlich die Vorstellung sein muss, einen Neotänzer vor sich zu
haben (nicht etwa: ihn/sie tanzen zu sehen!), haben wir vor kurzem in einer
hübschen süddeutschen Kleinstadt erlebt, deren Altstadt zum Weltkulturerbe gehört
und deren friedvolle Schönheit in scharfem Kontrast zu ihrer Vergangenheit
steht. Denn dort fanden im frühen 17. Jahrhundert die grausamsten
Hexenverfolgungen in ganz Deutschland statt.
Egal, wir wollten keine Hexen verfolgen oder rehabilitieren, wir wollten
tanzen. So besuchten wir die dortige Milonga, die in einem schön dekorierten,
tangomäßig beleuchteten, großen Saal mit gut ausgewählter traditioneller
Tango-Musik stattfand. Also beste Voraussetzungen für einen schönen Abend. Doch
das war's mit der Schönheit. Nach dem Eintanzen setzte sich Monika zu den
Einheimischen, aber sie wurde völlig ignoriert. Sie beteiligte sich an einigen
Gesprächen mit Frauen - vergebens, nur kalte Schultern. Kurzer Tipp von Seiten
einer Dame: Sie möge halt auffordern! Monika, keine Frau trüber Stimmungen,
forderte einige Männer auf - vergebens, nur Körbe.
Da hatte Monika genug von drei Körben und ständigem Abwenden. Sie forderte
schlussendlich den Plattenaufleger auf, der schon verschiedene andere
Damen betanzt hatte. Der sagte, er müsse sich eine Tanda lang ausruhen. Und
danach? Da hätte er die Tanda schon einer anderen versprochen. Und danach? Das
wüsste er im Augenblick nicht. Monika, ihre Durchsetzungsfähigkeit nicht
verleugnend und ihren Ärger über so viel Borniertheit unterdrückend, beharrte
nach zwei Tandas auf ihrem Recht. Und der gute Mann, nun offensichtlich wieder
erholt, bequemte sich zu einer Tanda. Monika genoss die Tanda sehr - und er staunte
am Ende, was die unbekannte und nicht zur Elite der Stadt gehörende Dame alles
konnte. Da Monika offensichtlich einen so guten Eindruck hinterlassen hatte,
überreichte sie ihm vor dem Heimgehen unsere Postkarte mit den eigenen
Tangoveranstaltungen. Da steht unter anderem drauf:
Neo-
& klassische Tangos
Als besagter Plattenaufleger das las, fiel
ihm die Kinnlade runter, er rief angewidert "neo" und verschwand
hinter seinem Mischpult. Monikas Bemerkung: "Wir tanzen beides, auch
traditionelle Tangos", ging unter. Seine Reaktion war ähnlich, als hätte
jemand "SARS" oder "TBC" gerufen. Offensichtlich hatte er
Angst vor Ansteckung. Weil Neotango-Anhänger bekanntlich Gift zu sich nehmen
(Aussage einer bekannten Münchner Tango-Veranstalterin: Neotango ist toxisch)
und drogenabhängig sind (Aussage einer weniger bekannten Amerikanerin, siehe
unten), sollte man diese Art der Tätigkeit - "Ich tanze Tango auch
zu Neotangomusik" - am besten in den Impfpass eintragen lassen, der dann
vor dem Eintritt zu einer staatsbürgerlich wertvollen Milonga vorgezeigt werden
muss, mit dem Recht des Veranstalters, ansteckungsgefährdende Subjekte
schleunigst des Saals zu verweisen.
Mein Kommentar:
Sowas nennen die Verfechter
sogenannter „Códigos“ dann „social dance“. Hauptsache, es wird vorschriftsmäßig
aufgefordert und getanzt. Wenn man außerhalb des Parketts die simpelsten Regeln
von Höflichkeit und Gastfreundschaft missachtet, scheint dies mit
„argentinischen Traditionen“ kompatibel zu sein. Die Losung lautet offenbar:
„Tango y menos“ – „Tango und weniger“…
P.S. Schleichwerbung:
Wer ebenfalls auf Freundlichkeit
Wert legt, kann dies wieder am kommenden Freitag bei Monika und Peters Milonga
erleben – selbstredend darf dort auch traditionell getanzt werden:
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