Tango rechtlich gesehen

Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand" (Ludwig Thoma)

Zweifellos muss beim Tango alles seine Ordnung haben. Ein vorbildliches Beispiel habe ich auf einer Website entdeckt, wo man zu Encuentros einlädt. Die dortigen „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ erstrecken sich über eine Unzahl von Seiten, die offenbar von einer Anwältin verfasst wurden.

Ich hatte schon immer ein Faible für Juristerei, weil sie das Leben aus einer ähnlich schrägen Perspektive betrachtet wie die Satire.

Also hinein ins Vergnügen! Die Veranstaltung betitelt sich „Noche de Pasión“:

„Die nachstehenden Informationen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten für Verbraucher, nachfolgend ‚Teilnehmer‘ genannt.“

Man beachte die Vermeidung des Begriffs „Kunden“ – das könnte ja irgendwelche seltssamen Ansprüche begründen!

Aber worum geht’s denn überhaupt? Darüber werden wir rechtlich aufgeklärt:

„Gegenstand des Vertrages ist das Recht zur Teilnahme an Tangoereignissen, die aufgrund privater Einladung stattfinden.“

Tangoereignisse" - schöner kann man es kaum sagen!

Öh ja, und wie kann man sich anmelden? Wohl nur nach Entzifferung der folgenden Auskunft:

„Wird ein Angebot durch den Anbieter eingestellt, liegt in der Freischaltung des Angebots noch kein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Teilnahmevertrags vor, sondern lediglich die Aufforderung an den Teilnehmer seinerseits ein verbindliches Angebot für die Teilnahme abzugeben.“

Was mich beruhigt: Es dürfen sich nur geladene Gäste um eine Teilnahme bewerben.

„Personen, die sich ohne vorherige Einladung zu einem geschlossenen Event angemeldet haben, werden vom Anbieter darüber informiert, dass eine Teilnahme nicht möglich und nur geladenen Gästen vorbehalten ist.“

Im anderen Fall kriegt man umgehend eine Rechnung, zahlbar innerhalb von 10 Tagen, anscheinend längere Zeit zuvor. Dann ist man den Schotter erstmal los.

Und wenn man doch nicht mitmachen kann, vielleicht wegen Krankheit? Dann wird es teuer: Ein bis zwei Monate vorher kann man die Stornierung „beantragen“. Sollte der Veranstalter den Laden auch so vollkriegen, erhält man 50 Prozent der Teilnahmegebühr erstattet. Ansonsten gibt’s gar nix! Bei kürzeren Absagen wird es noch enger.

Nun aber:

„Im Falle einer Solidaritätsabwicklung werden Teilnehmerbeiträge in Höhe von 75% rückerstattet.

Die Solidaritätsabwicklung soll den Anbieter vor Folgen einer unverschuldeten Eventabsage schützen (Risikominimierung).

Die Solidaritätsrückabwicklung wird angewandt bei:

1.     Naturkatastrophen, z.B. Blitzeinschlag, Hochwasser, Hagel, Sturm, Eis- und Schnee
2. Epidemien, Pandemien
3. Zerstörung des Veranstaltungsorts durch Brand, Wasserschäden, Parasitenbefall o.ä.
4. Verdacht auf Terroranschläge
5. Terroranschläge
(…)“

Ja, okay – aber was zum Teufel ist eine „Solidaritätsabwicklung“? Und darf ich mir bei Encuentros die Katastrophe raussuchen?

Auf jeden Fall aber gilt:

„Im Falle eine Bankencrashs oder einer Insolvenz des Anbieters wird nicht rückerstattet.“

Von einer Insolvenz des Kunden ist natürlich nicht die Rede…

Bei der Hausordnung wird es nun streng:

„Diese Verhaltensregeln und die Weisungen der Ordnungskräfte sind zu beachten. Bei einer Missachtung kann – ungeachtet sonstiger Ansprüche – ein sofortiges Verlassen des Raums angeordnet werden.“

Habe ich bei den vielen Milongas, die ich besuchte, schon mal „Ordnungskräfte“ erblickt? Nein – aber das beweist eben, dass ich bislang auf den falschen Veranstaltungen war!  

Auch das Mitbringen von Waffen ist untersagt. Da muss ich aber im Sinne der heiligen Milonga-Traditionen widersprechen: Das kreolische Messerduell gehört eindeutig zur Brauchtumspflege im traditionellen Tango:

https://www.youtube.com/watch?v=_Nf7XoRHZyY

„Teilnehmer können dem Tangoereignis verwiesen werden, wenn sie dieses stören oder andere Teilnehmer belästigen. Ihnen kann der Zutritt auch verweigert werden, wenn Anlass zur entsprechenden Befürchtung besteht.“

Frauen sind offenbar nicht gemeint... Tja, und ob ich (abgesehen vom falschen Dativ) unter diese Rubrik falle? Ich nehme an, allein mein Anblick könnte zu solchen Befürchtungen führen…

Meines Wissens muss man sich zu solchen Events meist Monate vorher anmelden. Ich glaube, diese Zeit braucht man vor allem dazu, eine solche staubtrockene Suada durchzuarbeiten.

Quelle: https://nochedepasion.de/agb/

Ich finde, die Kombination von „Nacht der Leidenschaft“ und trockenem Jura-Seminar hat hohe satirische Qualität. Kurt Tucholsky, selber studierter Jurist, hat den Gegensatz wunderbar beschrieben:

„In erotisch-kultureller Beziehung denke ich mir den Liebesbrief eines solchen Korrespondenten so:

Geheim! Tagebuch-Nr. 69/218.

Hierorts, den heutigen

1. Meine Neigung zu Dir ist unverändert.

2. Du stehst heute Abend, 71/2 Uhr, am zweiten Ausgang des Zoologischen Gartens, wie gehabt.

3. Anzug: Grünes Kleid, grüner Hut, braune Schuhe. Die Mitnahme eines Regenschirms empfiehlt sich.

4. Abendessen im Gambrinus, 8.10 Uhr.

5. Es wird nachher in meiner Wohnung voraussichtlich zu Zärtlichkeiten kommen.“

http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1929/Zeitungsdeutsch+und+Briefstil

P.S Soeben erfahre ich, dass der betreffende Veranstalter meiner Partnerin und mir nun die kostenlose Teilnahme an einem Tangokurs mit einem Weltmeisterpaar angeboten hat, die er finanzieren wolle. Fahrtkosten inklusive.

Selbst wenn ich in meinem fortgeschrittenen Alter noch Tangounterricht nähme, müsste ich das ablehnen. Wie ich nicht erst gestern gemerkt habe, hat der Herr seine Aggressionen nicht im Griff. Insbesondere meine Frau kann ich einem solchem Risiko nicht aussetzen.

Gerne biete ich dem Kollegen aber an, das Kurs-Geschenk an seinen neuen literarischen Untervermieter weiterzugeben.

Hier der Text der Einladung:

https://tangoblogblog.wordpress.com/2025/04/05/ein-angebot-von-christian-an-gerhard/

Kommentare

  1. Vielleicht trainiere ich doch mal eine KI mit Deinen Blogtexten. Und lasse sie dann, sagen wir, einen Artikel über die AGB von Lufthansa für Economy-Flüge oder der DB beim Buchen von Sparpreis-Tickets mit Zugbindung schreiben.

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    1. Wie's beliebt! Jedenfalls herzlichen Dank für die ständigen Bezüge auf meine Artikel. Eine bessere Werbung gibt es nicht.

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  2. Hallo Herr Riedl,
    das Angebot von Christian Beyreuther ist doch nur fair.
    Sie sollten das Angebot annehmen und mutig einen Satz von Gavito widerlegen, (den Sie doch, je nach Aussage, so schätzen) – der Satz lautet sinngemäß ungefähr so:
    "Es gibt so viele Literaten, Schreiber, (blogger?) und Theoretiker, die sich die Finger wund schreiben über den Tango. Ich hingegen sage, lass sie doch reden und diskutieren, ich bin Milonguero und der Tango spielt sich ganz allein hier auf der Tanzpiste ab."
    Und die vorgeschobene Ausrede, Sie wären zu alt und müssten Ihre Frau vor einem aggressiven Veranstalter beschützen, ist doch wirklich sehr weit aus der Luft gegriffen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Lieber Herr Wendel,
      Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mich von jemandem vorführen lasse, der sich mir gegenüber benimmt wie Rotz am Ärmel? Und der nur darauf hofft, hinterher behaupten zu können, ich hätte mich ungeschickt angestellt?
      Der Betreffende hätte uns in vielen Jahren oft auf lokalen Milongas treffen können. Aber diese Veranstaltungen waren ihm wohl nicht fein genug.
      Ansonsten kämen wir gut miteinander aus, wenn wir beide einander keine Tipps zur Freizeitgestaltung geben würden.
      Beste Grüße!

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