Practicas – war’s das schon?


In seiner Betrachtung zum Lerneffekt auf Tango-Practicas kommt Jochen Lüders – außer, dass ich Absurdes verbreite – zum Fazit:

Practicas sind eine wertvolle Ergänzung zum Unterricht, können ihn aber nicht ersetzen.“

Nun gut – wenn diese denn zumindest „wertvoll“ erscheinen: Welche Bedeutung messen denn Tangolehrer dieser Lernform zu?

Ich habe dazu in meine Suchmaschine den Begriff „Tango Practica“ eingegeben und mir die ersten 10 Treffer (in deutscher Sprache) einmal angesehen.

Mein Eindruck: Allzu viel fällt den Tangopädagogen dazu nicht ein. Es wird halt geübt, was ja der Name schon sagt:

„Der ‚Mittwochs-Tango‘ ist ein freier Übungsabend, bei dem das Gelernte wiederholt und eingeübt werden kann. Ein Lehrer ist immer dabei und hilft bei Fragen.“

Ihr habt kiloweise Schokoeier und -hasen gefunden und jetzt sucht ihr noch ein paar Umarmungen? Die findet ihr am Ostermontag bei unserer entspannten Practica in der Schrannenhalle! (…)
Bei wunderschönen, vorwiegend klassischen Tangos könnt ihr den Blick über die ganze Halle genießen und das Tango-Tanzbein schwingen, üben, rumprobieren und euch austauschen.“

„ÜBUNG MACHT DEN MEISTER! Die Practica ist eine wichtige Gelegenheit, die im Tangounterricht gelernte Tanztechnik zu vertiefen und zu üben. Unsere begleitete Practica zum Üben und Verbessern des Tanzflusses findet jeweils jeden 2. Freitag für alle statt. Ein Besuch ist mit oder ohne TanzpartnerIn möglich. Der Tangolehrer steht für Fragen und Wiederholungen zu Verfügung.“

„Die Sonntags-Tango Práctica ist die ideale Gelegenheit für Tänzer*innen aller Niveaus, um auf lustige und entspannte Art und Weise Neues zu lernen sowie das Gelernte zu verinnerlichen. Ob alleine oder zu zweit – im Unterricht habt ihr die Möglichkeit, mit verschiedenen Partnern zu tanzen. Schaut ohne Anmeldung vorbei, übt, tanzt und lasst es euch gutgehen! Wir sind auch da, um uns mit euch zu unterhalten, zu bewirten und euch alle Fragen zum Tango zu beantworten!“
(Alle Fragen gleich - wow!)

„Für alle Levels offen. Eine Möglichkeit für alle Tänzer, entspannt und ohne Stress – den eigenen Tango zu verfeinern und auszuprobieren, was euch am Herzen liegt. Mit erfahrenen Lehrern, die euch individuell bei eurem Tanz unterstützen und begleiten. (…)
Die PRACTICA ist das Bindeglied zwischen Kurs & Milonga.
Ein ganz wichtiger Aspekt, für Argentinier genauso wichtig wie ein Tanzabend. Im Salon solltet ihr nur die Elemente tanzen, die euch ‚gesellig‘ sind, und die müssen geübt sein.
Dies ist ein Ort, an dem Du deinen Tango üben kannst.“

Wir halten fest: 50 Prozent der Angebote schweigen sich fast völlig darüber aus, welche didaktischen und methodischen Ansätze dort gelten. Nicht einmal, ob man auch alleine erscheinen darf oder für welche(s) Level das Ganze geeignet ist, erfährt man überall. Meist wird zwar die Anwesenheit eines Lehrers versprochen, welcher aber nur (auf Wunsch) beratend tätig wird. Das explizite Angebot, auch mal mit Schülern zu tanzen, fand ich nirgends – auch nicht bei den anderen 50 Prozent! Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen…

Etwas konkreter wird immerhin diese Beschreibung:

„Ihr wünscht Euch individuelle Unterstützung, Auffrischung, Wiederholung …, möchtet aber nicht gleich eine Privatstunde nehmen – dann seid Ihr genau richtig bei der Práctica!
Etwa einmal im Monat findet freitags um 20:30 eine intensive Práctica statt. Das bedeutet: Jedes Paar arbeitet mithilfe des anwesenden Lehrers an seiner ganz individuellen Fragestellung. Dabei werden normalerweise keine neuen Schrittkombinationen vermittelt, sondern bestehende verbessert, es wird an der Achse gearbeitet, an der Haltung gefeilt, mit der Umarmung im Paar gespielt oder … oder … oder …“

Nicht nur üben, sondern auch neue Schritte (die man dann auf der Milonga ausprobieren soll) lernen kann man auf dieser Practica:

„Unsere Practica ist die perfekte Ergänzung zu deinen Tangokursen! In den Kursen geht es um alle Details, von Technik und Anatomie, über Umarmung und Kommunikation, bis hin zu außergewöhnlichen Ein- und Ausgängen zur Perfektionierung deines Tanzes.
In der Practica geben wir dir neue Ideen, zeigen neue Schritte, Sequenzen und Variationen, kleine, einfache, aber schöne Kombinationen, die Du dann in der Tangonacht ausprobieren kannst.“

Im nächsten Angebot behauptet man das Gegenteil – und spricht ausnahmsweise sogar die Musik an:

„Du hast zurzeit keine Möglichkeit, dich in einem Kurs weiterzubilden? Oder hast Du Lust, das Gelernte zu üben und zu vertiefen? Mit der persönlichen Betreuung durch einen Lehrer ist die Práctica der ideale Ort dafür. Für alle Niveaus.
Da dies keine Milonga ist, braucht ihr euch auch nicht um den Tanzfluss wie auf einer Milonga zu kümmern, sondern könnt auch auf einer Stelle Sequenzen wiederholen und trainieren. Die Musik, die während der Práctica genutzt wird, ist variabel und wird von den Übenden mit bestimmt.
Für die Práctica verabredet euch am besten mit einem Übungspartner oder anderen Teilnehmern eures Kurses.“

Die folgende Seite bietet sogar konkrete Themen für die einzelnen Termine:

Willkommen bei der Práctica für Argentinischen Tango, Vals & Milonga –
hier könnt Ihr Tanzen üben u. mehr über gute Technik & den Dialog lernen.
Seit 2010 sonntags 18:00-20:15 Uhr – hier die nächsten drei Termine:  
Thema: »Balance und Schritttechnik« –
mehr Sicherheit & Ruhe in allen Schritten
und wie immer: der Dialog, das »WIE« ...

Ebenso hier, wobei es da wieder mal ums „Schrittekloppen“ geht:

Übung macht den Meister
Die Práctica ist ein offener Unterricht, um Gelerntes zu vertiefen und zu üben. Wir unterrichten ein in sich abgeschlossenes Thema pro Abend. Übergeordnet gibt es immer ein Thema des Monats.
Die Sacada-rückwärts
Sequenzen in geschlossener und offener Umarmung“

Fazit

Wie ich aus der Internet-Recherche (und auch eigenen, analogen Erfahrungen) ableite, machen sich unsere Tangopädagogen keine allzu großen Gedanken über das Thema. Durch die Practicas kann man das Studio noch ein, zwei Stunden mehr bezahlterweise füllen – und man muss ja eh mal aufräumen, Geschäftspost erledigen oder schon einige Zeit vor der Milonga anwesend sein. Dann legt man halt irgendeine simple Dudelmusik auf, zu der die Schüler in Gottes Namen üben sollen. Und wenn einer wirklich mal eine Frage hat, zeigt man ihm den Schritt eben noch dreimal.

Das war’s dann auch schon…

„Außer Konkurrenz“ fand ich den besten einschlägigen Text auf einer Seite, bei der man sich nicht ausschließlich mit Tango befasst: Salsango – das Lifestyle-Magazin rund um Tanz, Mode, Musik und Sport.

„In einer Tango Practica wird viel und intensiv getanzt. In der Regel wird keine Figur unterrichtet, auf Wunsch gibt es aber Tipps für alle oder speziell nur für Dich von den Tanzlehrern, die immer anwesend sind. Sprich die Tanzlehrer am besten an. Sie freuen sich darüber, denn genau deshalb sind sie da. Gern helfen auch andere, schon erfahrenere Tanz-Schüler. (…)
Auch wegen Eures tänzerischen Niveaus müsst Ihr Euch keine Sorgen machen. Alle, die zu mir kommen, haben irgendwann einmal angefangen, haben das Tangotanzen lernen und üben müssen. Niemand wird Euch anstarren oder die Nase rümpfen, weil Ihr ganz am Anfang steht oder etwas noch nicht so gut könnt. Schließlich bin ich zum Üben da!
Deshalb ein Tipp aus meiner reich gefüllten Schatztruhe: Traut Euch ruhig, Tänzerinnen oder Tänzer anzusprechen, die schon besser tanzen können als Ihr. Das ist der beste Weg, ein guter Tango-Tänzer oder eine gute Tango-Tänzerin zu werden. Sie haben die Routine und können Euch beim Üben unmittelbar helfen.
Ich liebe es übrigens, wenn Ihr Eure Tanzpartner wechselt. Dann zeigt sich schnell, was ihr schon könnt oder was Ihr noch verbessern solltet. Wenn Ihr aber lieber mit Eurem Lieblings-Tanzpartner übt, wird das jeder verstehen und keiner Euch schief ansehen.“

Ja, so könnte es gehen, wenn man beim Tango einmal über den eigenen Tellerrand hinaussähe! Aber den von Kollegen Lüders immerhin attestierten „Wert“ von Practicas (welche diesen Namen verdienen) müsste man den Tangolehrern hierzulande (und vielleicht auch ihm) erst noch ausführlich erklären.

Dazu passt eine wunderbare Geschichte des Diplomphysikers und Kabarettisten Vince Ebert:

Seinem Professor für Theoretische Physik berichteten Studenten, einer seiner Doktoranden habe die Uni verlassen. Auf die Frage nach dem Grund wurde ihm gesagt: „Er schreibt jetzt Romane.“ Darauf der Ordinarius: „Ich wusste immer, der Kerl hat keine Fantasie.“

P.S. Und auch das kann man offenbar „Práctica“ nennen…

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