Tango-Krawehl

 

„Der Mensch zerfällt in zwei Teile: in einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: Man ruft diese am besten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus funktionieren lässt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.“ (Kurt Tucholsky: „Der Mensch“, 1931)

In diesen trüben Zeiten ist man wahrlich froh um jedes bisschen Erheiterung. Schon deshalb schaue ich regelmäßig nach der Facebook-Seite „Tango München“, dem kostenlosen Werbeforum von „Tango maldito“.

Gestern beehrte sich dort ein Autor namens Franz J. Herrmann, uns das baldige Erscheinen seines Buches anzukündigen, welches sich „Von Adamsmasken, Brosamen & anderen Tangoscherben“ nennt und bei einem österreichischen Verlag verlegt wird. Als „Gustostückerl“ bietet er uns schon mal ein Gedicht an, das mit „Für Dich, nur für Dich, gesungen am Fuß der Bavaria“ überschrieben ist. Ob es sich bei dem Werk um einen Brosamen, eine Adamsmaske oder eine Tangoscherbe handelt, wird nicht dargetan.

Damit man mir nicht schon wieder vorwirft, aus dem Zusammenhang gerissen zu zitieren, hier das Kunstwerk in voller Länge:

Holla, wie hinan die Sommerröcke heut fliegen,

zu deren Stöckelschuhfüßen gern ich tät liegen,

flüchtig nur für einen Ewigkeitsmomentaugenblick,

bringet er mir jene Feigenhaintage zurück,

als ins Tangogras du und ich uns gleiten ließen,

um zwischen Halmen hoch die Liebe zu genießen.

 

Holla, wie waren damals egal uns die Wächter

der Sitten, angeblich gut, doch Menschenrächer

beanspruchen solcherlei Tugend doch auch für sich

und schicken dennoch ihre Herzliebste auf den Strich,

nein, nicht des Mammons wegen kosten wir uns zwei

und auch nicht, weil beide wir waren uns einerlei.

 

Holla, und so du und ich liegend es hatten vollbracht,

schlüpften zurück wir ins unsere Häute, gemacht

aus Leinen und Wolle und Gesichtsmaskenstücken,

deren Lächeln, falsch, nur diejenigen mag beglücken,

die niemals auch nur um Verstorbene geweint,

mit denen sie sich zu Lebzeiten mal hatten vereint.

 

Holla, und nun da vorbei schon lang unser Kostümball,

und selbst du magst feiern keinen Jenseitskarneval,

da sitz am Fuß jener Lady, gusseisern, ich allein

und kann mir deinen Verlust wohl erst verzeihen,

wenn auch sie mal höbe endlich ihren Rocksaum,

wie du einst unterm Feigenkusstangotraumbaum.

Ja, holla erstmal… Dies Poem nimmt endlich mal die Dinge in den scharfen Blick, um welche es beim Tango wirklich geht: Kein Wort von Tanz oder gar Musik – und erst recht nicht von Mirada, Cabeceo oder anderen Hilfsmitteln erotischer Drückeberger. Und statt des doch recht einsehbaren Parketts verzieht man sich lieber ins hohe Tangogras – womöglich auf dem Oktoberfest-Kotzhügel unterhalb der Bavaria. Wie passend!

Und es bewahrheitet sich wieder mal ein Spruch, den wir Bengel damals schon in der ersten Tanzstunde drauf hatten: „Eine Cola nach dem Tanz hebt die Stimmung und den Rock.“

Leider, so ist zu vermuten, hat die Angebetete die genießerisch geschilderte, kostenfreie Vereinigung nicht überlebt – vielleicht, weil der Autor ihr damals schon seine Gedichte vorgelesen hat? Werner Schneyder definierte den Begriff „Realsatire“ einmal so: „Wenn einer sich totlacht und wirklich stirbt.“

Wieder einmal sehen wir: Lyrik kann durchaus die Weltgeschichte beeinflussen. Leider kommt das Buch wohl erst im April heraus. Wäre es schon auf dem Markt, hätte Putin vielleicht die Ukraine verschont und stattdessen Österreich angegriffen.

Und weil der Autor ja selber vom Singen spricht: Solche typischen Tangotexte harren der Vertonung. Allerdings erzwingt die holpernde Metrik eine tänzerisch anspruchsvolle Umsetzung – und wegen der in jeder Hinsicht unreinen Reime rate ich zu einem Sänger mit spanischem Akzent. Vom Tempo her schwebt mir eine Milonga vor – so wäre der Text schneller zu Ende.

Daher mag sich auch mein Gesamturteil hinten reimen:

Herrmanns Gedicht nun hab ich gelesen,

eine große Freud mir ist’s gewesen.

Träumend von der Bavarias Hügeln

vermag kaum meine Fantasie ich zu zügeln.

Insgesamt gemahnt mich das Werk an einen anderen führenden Vertreter der modernen Literatur: Lothar Frohwein. Bei etwaigen Dichterlesungen rege ich an, sich an diesem Vorbild zu orientieren: Krawehl, Krawehl!

https://www.youtube.com/watch?v=bal1SH_EwYY

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen (Post vom 3.3.22)

Kommentare

  1. Danke, ich liebe es verrissen zu werden. Mit besten Grüßen Franz J. Herrmann

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    1. Tja, dieses Schicksal ist mir auch selber vertraut...

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