Stillen und Flipflops

 

Gestern verfasste ein Facebook-Nutzer einen bemerkenswerten Text. Dieser wurde illustriert durch ein Foto, das eine junge Frau in einem Restaurant zeigt, während sie ihr Baby stillt. Auf dem Tisch vor ihr kann man ein Paar Flip-Flops erkennen.

Zitat:

„Liebe Frauen, bitte tut das nicht!

Es ist OK, es zu Hause zu machen (wenn du es unbedingt willst) oder da, wo dich niemand sieht… aber nicht in einem Restaurant! Es ist ein öffentlicher Ort, der für den Verzehr von Lebensmitteln gedacht ist.

Ganz ehrlich: ich stimme dem einfach nicht zu. Ich weiß zwar nicht, was du denkst, aber mich stört es.

Mir ist bewusst, dass viele das jetzt verteidigen werden und Argumente zu ihren Gunsten anführen, aber ihr werdet meine Meinung darüber nicht ändern.

Es ist eine schlechte Angewohnheit. Du kannst natürlich sagen, dass es bei dir zu Hause normal ist und das etwas ganz Natürliches wäre, aber ... leg deine schmutzigen Flip-Flops nicht auf den Tisch! Es ist total unhygienisch.“

Der ziemlich harmlose Scherz bewirkte bislang fast 2500 Kommentare.

Ein Großteil der Schreiber blieb am blanken Busen hängen und ereiferte sich wahlweise über die Zumutung des nackigen Anblicks anderen Gästen gegenüber respektive über die Rückständigkeit des Autors, am öffentlichen Stillen Anstoß zu nehmen. Die wenigsten kapierten den Joke mit den Flip-Flops als eigentlichen Stein des Anstoßes.

Regelmäßig wurden diese von der Minderheit sinnentnehmend Lesender auf das Missverständnis aufmerksam gemacht.

Beispiele:

Wir leben doch nicht mehr im achzenten jahrhundert.“

„gewisse Leute schon.“

„du hast aber doch zu Ende gelesen, oder? Es geht hier um FlipFlops

na dann“

„Ist hier Neid im Spiel? Das ist die natürlichste Sache der Welt, wer sich bei diesem Anblick nicht im Griff hat, sollte sich behandeln lassen, weil er eine schlechte Kindheit bzw. Sozialisation hatte.“

von welchem Planeten kommen sie, ich finde es furchtbar, wenn ich in ein Restaurant gehe, möchte ich in Ruhe essen, und keine Titten sehen, es ist zu einer Unsitte geworden, aufgeklärt hin oder her“

„geht man mit so einem Verhalten nicht eher Rückwärts??? Sich der Gesellschaft und Etikette fügen ...wirklich?? Respekt okay, natürlich immer Rücksicht nehmen, klar .. aber was hat das bitte mit Brüsten zu tun...finde es eher respektlos, wenn man da drauf starrt anstatt es als normal zu betrachten ...und es respektvoll zu ignorieren...völliger Schwachsinn! Jetzt soll man sich noch einer Religion anpassen, der man sich nicht zugehörig fühlt?!? Was? Wie wäre es damit, Rücksicht auf die Frau zu nehmen, die ihre Brüste nicht präsentiert, sondern einfach nur ihrem Säugling essen gibt, oder Rücksicht auf das Kind zu nehmen, das genauso Hunger hat... statt diese Situation zu sexualisieren...oder die Brüste...wir haben alle schon mal Brüste gesehen oder? Wo ist das Problem? Bis jetzt noch keiner daran gestorben ...oder? was ist nur mit dieser Welt los? Primitiv, dass man über so etwas überhaupt diskutieren muss ...

„hast nicht richtig gelesen... und die Brust geben muss man sicher nicht so öffentlich machen. Brüste gesehen? Kinder? Und hier die Bedeutung der Etikette...Gesamtheit der herkömmlichen Regeln, die gesellschaftliche Umgangsformen vorschreiben... hier sind gewisse Umgangsformen, auch Du oder jeder bekommt diese schon im Elternhaus aufgezeigt. Das ist sicher nichts mit zurückentwickeln... und das mit dem drauf starren ist auch ein Punkt, der eben passiert, wenn man das tut. Mal ehrlich, jeder Mann würde da hinschauen... ich persönlich finde es nicht schlimm, nur eben nicht unbedingt Knigge like.... ja, Knigge, der gilt auch heute noch, der wird immer angepasst...“

„Dann frage ich mich wirklich, was in Deinem Elternhaus nur falsch lief... Musstet Ihr Euch oder euer Essen beim Essen unter einem Tuch verstecken? Weshalb sollte dies eine Frau, die ihr Kind ernährt, dessen Brust eine Nahrungsquelle darstellt, oder das Kind, das sich durch diese Quelle ihre Nahrung bezieht, verstecken?“

„oh, bist ja sehr schlau... aber wie Du willst, ich habe zwei Kinder, inzwischen erwachsen. Es ist eben Ansichtssache. Mach es doch, wenn Du Kinder hast, vielleicht freut sich auch Dein Mann dann, wenn Du jeden zuschauen lässt. Ich denke aus Rücksicht auf die älteren Generationen kann man da schon bissel drauf achten… Schön, dass ich unglaublich bin, wirst es nicht glauben, aber ich fühl mich gut dabei...

„Mein Mann hat damit keine Probleme. Er findet das Essen von Erwachsenen auf dem Tisch auch nicht sexuell anziehend. Falls Dein Mann Probleme damit haben sollte, würde ich Ihn zu einem Arzt bringen. Wer den Akt des Stillen fetischisiert, hat ein ganz großes Problem und ist abartig. Aber Dir als Frau würde ich mit dieser Einstellung definitiv eine Therapie vorschlagen.“

„Das war doch ein Spaß!!! Warum gibt es hier jetzt so viele Diskussionen? Hätten die mal alles bis zum Schluss gelesen und einfach nur darüber gelacht. Ein bisschen Spaß muss sein.“

„ES GEHT UM DIE FLIPFLOPS auf dem Tisch“

„LESEN! PS: Die Welt besteht nicht aus ersten Eindrücken“

Was mich in dem Zusammenhang nicht wundert: Viele „Ertappte“ verzichten auf das Eingeständnis ihrer Fehlinterpretation und tauchen ins Nirwana ab. Die ganz Hartgesottenen dagegen beschweren sich darüber, hereingelegt worden zu sein:

„das Bild führt halt auch absichtlich in die Irre. Wenn Äpfel abgebildet werden, vermutet man nicht gleich, dass Birnen zum Problem gemacht werden.“

„Mhhh, als ok, ne stillende Frau in ihrer Persönlichkeit/Intims-/Privatsphäre zu verletzen, nur um hier ‚demonstrieren‘ zu wollen, die MitleserIN hier lesen nicht zu Ende/…/Defokus/Schubladendenken?“

Dass der Gag im Kommentarverlauf immer wieder erklärt wurde, nützte gar nichts: Kaum jemand liest den bisherigen Gang der Diskussion und tappt daher stets von Neuem in die Falle 

Als Blogger sollte ich über den Kommentarverlauf nicht allzu erstaunt sein: Viele fassen einfach das auf, was sie gerne lesen wollen. Völlig egal, ob es dasteht oder nicht. Und ein blanker Busen im Restaurant gibt einfach emotional und empörungstechnisch mehr her als die Schuhe auf dem Tisch – wobei man sich hierbei noch dazu ziemlich einig ist, dass die Treter dort nichts zu suchen haben.

Noch dazu kann man sich im ersten Fall endlich einmal als Küchenpsychologe und Amateur-Sexualtherapeut betätigen – ein Traum!

Das Ganze erinnert mich an einen Schülertypus in meinem vergangenen Berufsleben. Der meldete sich ständig in dem Bewusstsein, der Welt Entscheidendes mitteilen zu müssen – was er dann allerdings aufsagte, hatte meist mit dem Thema nichts zu tun und war auch für sich betrachtet Schwachsinn.

Inzwischen ist mir klar: Daraus wurde später der typische Facebook-Nutzer – trotz tiefgreifender Mängel im Textverständnis zutiefst von der Wichtigkeit seiner Ansichten überzeugt. Bei guten Schülern hatte ich oft eher das Problem, sie zu einer mündlichen Äußerung zu motivieren. Der Grund: Sie waren sich nicht sicher, ob ihr Beitrag so wichtig wäre.   

Daher hat Bertrand Russell sicherlich Recht mit seiner Einsicht:

„Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“   

Quelle: https://www.facebook.com/Eddy-Gonzales-Yoga-515806068537603/  (Post vom 24.3.22)

Illustration: www.tangofish.de

 

Kommentare

  1. Hans-Peter Römer25. März 2022 um 17:12

    Lieber Herr Riedl,
    man kann sich natürlich über die Ignoranz der dummen Mitmenschen echauffieren, aber mit der Relevanz ist eine zweischneidige Sache. Was der eine für absolut bedeutsam erachtet, geht dem andern an der unteren Rückseite vorbei. Mir ist natürlich klar, dass auch ein Blogger Ihres intellektuellen Kalibers (das meine ich nicht abschätzig) ein erhöhtes Erregungspotential erschaffen muss, aber die Reaktionen auf den Facebookartikel waren vom Autor beabsichtigt und erwartbar und wurden von der Klientel umfänglich erfüllt. So what?
    So sehr ich selbst oft nicht weiß, mit der zwiespältigen Wirkung und teilweise Kakophonie allgemeiner Meinungsäußerung umzugehen, wurde mir im letzten Monat doch wieder klar, wie privilegiert ich bin, meine oft auch irrelevante Meinung kundzutun. Möglicherweise hätten auch Ihre Schüler es geschätzt, nicht immer ihr messerscharfes Urteil fürchten zu müssen.

    mit freundlichem Gruß

    Hans-Peter Römer

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    1. Lieber Herr Römer,

      woraus schließen Sie, dass ich mich über solche Zustände echauffiere?
      Ich betreibe ein Blog, das in erster Linie unterhaltend sein soll. Wenn ich nicht immer wieder Anzeichen menschlichen Schwachsinns entdecken würde, könnte ich weit weniger Artikel veröffentlichen – und der Rest würde weniger gelesen.

      Aber klar: Nicht alle interessiert’s, das ist eine Binsenweisheit, mit der sich jeder Autor abfinden muss.

      Ob der Verfasser des FB-Textes mit diesen Reaktionen gerechnet hat oder sie gar provozieren wollte, ist Spekulation. Fragen Sie ihn einfach mal! Ich halte es jedenfalls für eindrucksvoll, wie einfach man den intellektuellen Level einer bestimmten Leserschaft aushebeln kann.

      Lustig finde ich es auch, dass von Leuten, die mich nie beruflich kennengelernt haben, mögliche Auswirkungen meines Unterrichts auf meine Schülerinnen und Schüler diskutiert werden. Ich schlage vor, ein Urteil denen zu überlassen, die aus eigener Erfahrung sprechen können.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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    2. Hans-Peter Römer25. März 2022 um 20:03

      Lieber Herr Riedl,
      dass Sie sich echauffieren, ist meine Wahrnehmung, Ob es die Wahrheit ist und ob es eine solche im Allgemeinen gibt, damit haben sich klügere Köpfe befasst als der, der auf meinem Hals sitzt.
      Jedoch bestürzt mich ihre Herangehensweise an ihren Blog insofern, dass Sie sich doch so sehr den quantitativen Forderungen des Algorithmus unterwerfen. Möglicherweise hat ihre Leserschaft eher einen qualitativen Anspruch. Sie sollten sei dahingehend nicht unterschätzen. Andererseits ist auch ein Ausweis ihrer Zielfokussierung, möglichst hohe Zugriffszahlen zu erreichen.

      Ich habe Sie in der Tat nie als Lehrer erlebt, deswegen erlaube ich mir dazu auch kein Urteil. Dieser Absatz war als Feedback gedacht, ausgehend von ihrer Anmerkung zu ihren geschätzten und weniger geschätzten Schülern. Und Sie wissen ja wie es mit Feedback ist: Man kann es nehmen oder liegen lassen oder aber auch zurück über'n Zaun werfen. Es rührte aus meinen persönlichen Erfahrungen mit Lehrenden. Ich habe in meinem Leben mehrmals wechselnd beide Rollen eingenommen.

      Mit freundlichen Grüßen

      Hans-Peter Römer

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    3. Lieber Herr Römer,

      ich fände es halt fair, wenn Sie Ihre Wahrnehmungen begründen würden, statt mit vagen Klischees zu reagieren.

      Ansonsten mag es schon sein, dass ich in über acht Jahren Bloggen nicht alles richtig gemacht habe. Was sich als Erfolgsrezept allerdings bewährt hat: Nicht so zu schreiben, wie man es mir immer wieder rät.

      Für einen Text gibt es für mich genau ein Kriterium: Er muss mir gefallen. Wenn er dann noch eine größere Leserschaft findet, umso besser. Ich erlaube mir aber oft, Artikel zu schreiben, von denen ich von vornherein weiß, dass sie nicht viel Zuspruch oder Interesse finden. Da ich mit meinem Blog nichts verdienen muss, kann ich mir diesen Luxus leisten.

      Das heißt nicht, dass ich Feedback ignoriere. Aber ich muss einschätzen, ob es mich überzeugt. Und das geschieht nicht sehr häufig.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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    4. Hans-Peter Römer26. März 2022 um 12:51

      Ja nun, lieber Herr Riedl,

      ich habe meine Hand nicht an Ihrem Puls, noch messe ich Ihre Körpertemperatur. Sie thematisieren ja auch Ihre eigene Betroffenheit, dass einige böswillige Leser nicht das aus Ihren Texten lesen, was ihre Botschaft sein sollte. Daraus lese ich Ihre Echauffierung. Aber man sagt ja auch, wenn etwas in der Welt ist, hat der Schöpfer keinen Einfluss mehr auf die Rezeption.

      Aber mit Verlaub, das glaube ich Ihnen auch nicht, dass Sie nur ein Kriterium hätten. Da stapeln Sie etwas tief. Mir liegt es hingegen fern, Ihnen vorschreiben zu wollen. Erstens, ich wüsste nicht was, und zweitens, ich wüsste nicht wie! Ich dachte nur, dass der Sinn der Kommentarfunktion sei zu kommentieren. Und nun, ich hatte Lust, mich öffentlich zu äussern und zweitens löste das Konzept von Relevanz, dass ich aus ihrem Schülerbeispiel gelesen habe, meinen Widerspruch aus. Ich bin mir aber der begrenzten Relevanz meines Widerstandes durchaus bewusst.

      Mit freundlichen Grüßen

      Hans-Peter Römer

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    5. Na, lieber Herr Römer,

      kommentieren durften Sie meinen Artikel ja zur Genüge - da können Sie sich nicht beschweren.

      Ich muss auch nicht unbedingt kapieren, was das "Konzept von Relevanz" bedeutet, auf das Sie sich beziehen. Vielleicht versteht es ja der eine oder andere Leser.

      Zusammenfassend kann ich nur sagen: Mir ging es im Text darum, dass die sozialen Medien dazu verführen, reflexartig und ohne nachzudenken einen beliebigen Käse anzumerken. Ich fand das unterhaltsam genug, dazu einen Beitrag zu verfassen.

      Gerhard Riedl

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