Alle maskiert?

„Jeder nicht Maskenträger ist die schwächste Kette im Glied.“ (Experte auf Facebook)

In einer schrecklich geheimen Facebook-Gruppe, aus der man nicht zitieren darf (was mir Wurst ist), beschäftigt man sich derzeit mit einer überlebenswichtigen Frage: 

Sollte man beim Tangotanzen Masken tragen? 

Es käme nun ja wohl die Zeit, wo die Behörden einen Mund- und Nasenschutz auch auf dem Parkett fordern würden (ausgenommen natürlich die durch ein ärztliches Schwindel-Attest Befreiten). Wie sollten Veranstalter mit dem Problem – um ein deutsches Lieblingsverb zu verwenden – „umgehen“? Lieber nicht mehr tanzen, alle nur noch verhüllt, oder doch nur die mit der medizinischen Ausrede nackend im Antlitz?

Sogar abstimmen durfte man. Derzeit liegen die mit dem Maskenzwang für alle in Führung. Na gut, wird für die Tangoszene sicherlich riesige Folgen haben. 

Was mich weit mehr fasziniert: Auf solchen Seiten trifft sich nun – mehr als vor Corona – die gesammelte Bescheidwisserschaft des Tango. Typischerweise zählen dazu auch Mediziner, denen wir schon mal die Aufklärung verdanken, wer voraussichtlich mit Maske das traditionell hohe Tempo auf der Piste nicht derschnaufen kann. Ich zitiere:

Schwerste Herz- oder Lungenerkrankungen

schwere geistige Behinderung oder Demenz

Psychische Erkrankung, die zu Einschränkungen der Einsichtsfähigkeit führen, z. B. Wahn oder Delir

Asthma oder Panikstörungen“

Verflixt – ziemlich überraschend… Dann ist das ja für den Tango relevanter, als ich vermutet hätte!

Manchen würde „der übliche Spuckschutz“ auch aus anderen Gründen den Atem rauben:

„Ich finde die verkeimten Rotzlappen so eklig, dass ich mit Maskenträgerinnen nicht tanze und im Falle einer Maskenpflicht in Milongas dann eine Tangopause einlegen werde.“

Na, da lobe ich mir doch die Tänzerinnen, die seit Jahren Partner akzeptieren, welche ihnen aus nächster Nähe zu süß-getragenen Melodeien aus verkeimten Körperhöhlungen ins Antlitz pusten. Muss man auch mögen.

Schön, dass uns auch Belehrungen von Zeitgenossen zuteilwerden, die „als ausgebildeter Atemschutzgeräteträger der Feuerwehr“ noch genügend Puste haben, um ins Detail zu gehen:

Ich habe verschiedene für unterschiedliche Situationen und Gefährdungseinschätzungen. Z. B. mehrlagig Satin, wenn ich mit meiner Partnerin oder Leuten mit geringem Risiko tanze. FFP2, wenn ich mit anderen tanze. Z. T. trage ich 2 übereinander, um z. B. die häßliche FFP1 o. FFP2-Maske mit Stoff zu verdecken. Was trägst Du?“

Da fällt mir nur die schlimmste Kritik ein, die unter Frauen für das Outfit der Kollegin möglich ist: „Ja, du kannst das tragen.“

Auch die im Tango bekannte Schnorrer-Fraktion ist vertreten:

„Überlegenswert wäre eine verpflichtende Ausgabe von FFP2-Masken beim Eintritt durch die Veranstalter.“

Natürlich darf auch ein medizinischer Bußprediger nicht fehlen, der seit geraumer Zeit durchs Internet geistert, um das regelgerechte Verhalten in der Tangowelt zu überwachen:

Jetzt kannste Dich entscheiden: entweder Deine eigene Tangosucht unter billigender inkaufnahme möglicher Krankheitsübertragung auf andere (mit möglicherweise schweren Verlauf, gar tödlichem Ausgang #CoronaIsNOTjustAFlu) oder mit Masken wahrscheinlich sicher zu tanzen! (…) Stell Deine Ego doch einfach mal hinten an, (…) und mach’s so wie (…).“ 

Wie im Tango zu erwarten prallen die Gegensätze wieder einmal hart aufeinander:

„Ich suche bei einer Tanzveranstaltung also mehr, mehr als das schweigsame Ambiente des halb leeren Wartesaales einer Lungenklinik.“

„Das ist ist ja das Schöne an meiner Maske - ich tanze in Mitten von ca. 35 Tänzer*innen - mit meiner Partner*in oder gelegentlich mal mit jemand anderem mit Maske und habe die Musik, die Beleuchtung, den Tanzsaal und das Feeling einer Milonga. Das ist sooo schön.“ 

Wie ich mich entscheiden würde? Ich sehe einen maskierten Tanz halt als bildlichen Widerspruch zwischen erstrebter Nähe und Distanzierung. Geschlitztes Kleid, aber gefütterter Schnabel? Klar, das wäre im Tango nicht das einzig Paradoxe. Derzeit ziehe ich aber doch einen Tanz mit wenigen unverhüllten Partnerinnen vor, bei denen ich das Infektionsrisiko als äußerst niedrig einschätze.

Aber vielleicht stellen Masken, am besten zusammen mit Schutzkleidung und Latexhandschuhen, für manche sogar einen erotischen Kick dar, auf den sie bislang auf den Milongas verzichten mussten? Man weiß ja nie… 

Meine schönste Fundstelle verdanke ich einem herrlich dialektischen Dialog:

„ich hoffe doch, dass wir in der mehrzahl in der lage sind mit der existens von anderen meinungen umgehen zu können.“ 

„glaube nicht, dass es darum geht - eher mobbing | exklusion | inklusion von personen auf 'basis' kontingenter meinungen über meinungen zu ggf. fakten | deren kontextualisierungen. die risse | brüche sind m.e. abgrundtief, toleranzgemeinplätze und objektivität kannste da vergessen.“

Ich finde, das sollte die Administratorin als Gruppenbeschreibung einstellen – als Ersatz für den Schmarrn, der bisher drinsteht.

Was mich wundert: Durchaus vertretbare Vorzüge der Masken wurden bislang überhaupt nicht genannt: 

Da die Augen frei sind und der Mund bedeckt ist, würde dies sicherlich zu einem höheren Anteil des Cabeceo gegenüber der durch den Stoff genuschelten verbalen Aufforderung führen. Und die persönliche Identität sowie den Grad der weiblichen Schönheit kann man durch den Schnutenpulli nur vermuten. So kämen mehr unbekannte oder weniger attraktive Tangueras zu einem Tanz. Und auch der „Tango-VIP“ tut sich, maskiert seiner Bekanntheit beraubt, mal schwerer mit dem Schlagen des Ronda-Rades.

Es lässt sich mit wattierter Klappe auch nicht so gut auf dem Parkett belehren. Vor allem aber würde generell das elende Geschwätz gedämpft, das auf vielen Milongas die Musik übertönt.

In der Operette hat man die Hülle beim Ballvergnügen vor den Augen – man muss ja noch singen können. Dennoch könnten die Zeilen, welche den Textern Zell und Genée für das Johann Strauss-Werk „Eine Nacht in Vendig“ einfielen, uns auch im Tango Vorbild und Mahnung sein:   

Alle maskiert!

In der Menge buntem Gedränge sich verstecken und necken!

Hier entweichen, dort erreichen, bald sich finden, bald entschwinden. Ah!

Alle maskiert, wo Spaß, wo Tollheit und Lust regiert!

Alles sehen, ungesehen, kann man dort bequem.

Auch kann man im Tanz sich drehn und weiß nie mit wem.

Das Geplauder zu belauschen unbemerkt und stumm.

Schlechte Witze auszutauschen, bald gescheit, bald dumm.

Wenn Ihr Männer intrigiert habt und euch schließlich demaskiert habt,

sehn wir Frauen klar, dass einer wie der andre war!

Und wir Männer, die den Frauen gingen gläubig auf den Leim,

kommen endlich, statt mit Masken, nur mit langen Nasen heim.

Tanzen will sie, weiter nichts!

Ja, so war das schon 1883, als es noch keinen Tango gab! Hier eine Corona-Version des Titels:

P.S. Falls ein Zitierter Wert darauf legt, werde ich natürlich meine Quelle nennen. Ich wollte halt nur nett sein...

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