Nicht nur Quatsch, sondern quätscher

Über das „Coronavirus Update“ von NDR Info habe ich schon berichtet:

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/die-wissenschaft-hat-ein-eiskaltes.html

Meine Bewunderung des erfolgreichen Versuchs, Wissen über das neue Virus ohne die üblichen medialen Verkürzungen zu vermitteln, hat sich nicht geändert. 

Während bei diesem Podcast früher fast täglich der Berliner Virologe Prof. Christian Drosten zu Wort kam, gibt es nun nur noch eine Folge wöchentlich, wobei sich Drosten mit der Frankfurter Virologin Prof. Sandra Ciesek abwechselt. 

Die 42-jährige Wissenschaftlerin leitet das Institut für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt und lehrt dieses Fach an der dortigen Goethe-Universität. In ihrer mehrfach preisgekrönten Doktorarbeit fand sie 2004 Ursachen für den chronischen Verlauf von Hepatitis C. Aktuell erforscht sie Medikamente gegen Covid-19. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie sowie Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Bereits im Februar diese Jahres konnte sie mit ihrem Team nachweisen, dass auch symptomfreie Personen Überträger des Corona-Virus sein können.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sandra_Ciesek

Vor knapp einer Woche veröffentlichte das Hamburger Magazin „DER SPIEGEL“ ein Interview mit Sandra Ciesek. Die erste Frage, welche die beiden Redakteurinnen ihr stellten, lautete:   

„Frau Professor Ciesek, seit September sind Sie alle zwei Wochen im Wechsel mit Christian Drosten im NDR-Corona-Podcast ‚Coronavirus Update‘ zu hören. Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau sind?“ 

Wohlgemerkt, die beiden Journalistinnen fragten nicht etwa (was ich notfalls noch verstanden hätte), ob die Professorin sich als „Quotenfrau“ fühle, nein. Das wurde als zutreffend vorausgesetzt – mehr noch: Man fragt sie allen Ernstes, ob sie es auch schon kapiert habe.

Mit der zweiten Frage setzten die Interviewerinnen noch einen drauf:   

„Christian Drosten hat sich im Laufe der letzten Monate zu einem Popstar entwickelt, dem jetzt auch noch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen wurde. Sie hingegen gelten als ‚die Neue an Drostens Seite‘; so haben jedenfalls ‚Bild‘-Zeitung und ‚Berliner Zeitung‘ Sie bezeichnet. 

Wobei man anmerken muss: Die Berufung auf die beiden anderen Zeitungen wurde erst in der Online-Version angefügt. Im ursprünglichen Gespräch gaben das die beiden Fragerinnen noch als eigenes Geistesprodukt aus.

Geht’s noch schlimmer? Ja, nächste Frage:

„Ihre ersten Podcast-Folgen klangen ein wenig nach Volkshochschule. Wollen Sie es in Zukunft spannender machen?“ 

„Was machen Sie, wenn Sie doch mal ein Zuhörer angreift?“

So lautet die Frage, als Ciesek berichtet, sie erhalte zu 99 Prozent Zustimmung. Nun, Corona-Leugner seien mit rationalen Argumenten nicht mehr erreichbar, so die Professorin. Genussvoll thematisieren die Journalistinnen weiter das angebliche Rangordnungs-Gefälle:

„Drosten schreibt dann gerne mal eine freche Antwort.“

Hier das vollständige Interview:

https://www.spiegel.de/wissenschaft/sandra-ciesek-ueber-corona-massnahmen-ein-gutes-beispiel-ist-daenemark-a-00000000-0002-0001-0000-000173548967

Man muss diesen Totalausfall an journalistischer Fairness wirklich einmal durchbuchstabieren:

Ciesek und Drosten arbeiten, was ihren wissenschaftlichen Rang angeht, absolut auf Augenhöhe: Beide besetzen einen Lehrstuhl für Virologie und leiten das entsprechende Institut an einer großen deutschen Universität. Sie sind in der Forschung Senkrechtstarter, welche bereits in jungen Jahren Erstaunliches geleistet haben und dafür mit Preisen ausgezeichnet wurden. Ciesek hat in dieser Zeit auch noch ein Kind bekommen. Bei Drosten erledigte das die Lebenspartnerin.

Dennoch wird die weibliche Person als „Quotenfrau“ vorgestellt, die nur durch ihre Position „an der Seite“ des Mannes Geltung erlange – und zudem eine langweilige Urschel sei, welche grade mal „Volkshochschul-Niveau“ verbreite.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den beiden Journalistinnen keineswegs um Praktikantinnen handelt: Rafaela von Bredow hat Biologie studiert und eine Journalismus-Ausbildung absolviert. Sie arbeitet seit 1998, teils in leitender Funktion, beim SPIEGEL. Dr. Veronika Hackenbroch ist Ärztin und ebenfalls gelernte Journalistin; sie ist seit 2004 Redakteurin beim Hamburger Nachrichtenmagazin. 

Dass sich da irgendwelche Anfängerinnen vergaloppiert haben, kann man somit ausschließen. Die Gemeinheiten waren also wohl kalkuliert. Wieso kommt eine solche Attacke ausgerechnet von zwei Frauen? Eine verzerrte Vorstellung davon, was man sich unter „kritischem Journalismus“ einbildet? Oder vielleicht die im weiblichen Sektor nicht ganz unwichtige Tatsache, dass Ciesek zirka zehn Jahre jünger und auch erfolgreicher ist als die beiden SPIEGEL-Damen – und auch noch verteufelt gut aussieht?

Die Professorin hat auf all diese Fragen geschickt und diplomatisch geantwortet, ohne aus der Rolle zu fallen – und den Interviewtext in der vorliegenden Fassung autorisiert. Erst als sich eine Menge anderer Frauen öffentlich über diesen Stil echauffierte, hat sie auf Twitter reagiert:

„Ich war auch irritiert von den provokanten Fragen und deren Sinn. Einschüchterung? Schlagzeilen? Führt jedenfalls dazu, dass Frau sich weiter aus solchen Dingen zurückzieht. War das die Mission?     

Nun war es Zeit für Mansplaining. Der Leiter des Wissenschaft- und Technikressorts, Olaf Stampf, meldete sich zu Wort: 

Was ist schlimm an provokanten Fragen? Zumal wenn man so souverän antwortet wie Sie. Auch sonst haben Sie mit meinen Kolleginnen ein kluges, informatives Gespräch geführt. Um Einschüchterung ging es wahrlich nicht." 

https://web.de/magazine/panorama/quotenfrau-interview-sorgt-empoerung-virologin-sandra-ciesek-spiegel-35186380 

Auch Rafaela von Bredow reagierte auf Cieseks Kritik:

„Wenn Sie unsere kritische Frage so empfunden haben, ist das schade. Und bedauerlich, dass Sie das in unserem Gespräch nicht im Entferntesten haben anklingen lassen. Auch in Ihrer Autorisierung des Interviews: kein Wort dazu. (…) Wenn Sie den VHS-Vergleich ‚bewusst beleidigend und abwertend‘ fanden, wäre es gut gewesen, uns das beim Interview oder später bei der Autorisierung zu sagen. Dann hätten wir dies aufnehmen können."

https://www.derstandard.de/story/2000121016837/quotenfrau-heftige-kritik-an-spiegel-interview-mit-virologin-sandra-ciesek

Ah so. Schuld hat also nicht der Journalist, wenn er Schwachsinn fragt, sondern das Opfer, wenn es sich nicht wehrt. Auf Twitter wurde Sandra Ciesek gefragt, ob sie das Interview nicht hätte abbrechen können. Ja, so ihre Antwort, dann sei man halt wieder die „Zicke“. 

Mit Verlaub: nein. Man könnte sich ja auch mal zum T Rex aufblasen und solchen Zeilen-Sammlerinnen zeigen, wo der Hammer hängt! Aber diese Medien-Unsitte beobachte ich seit Jahren: Statt jemanden objektiv zu interviewen merkt man schon nach der ersten Frage, ob der Journalist seinen Partner gut oder schlecht aussehen lassen will – wunderbar zu beobachten im ZDF „Heute Journal“ bei Claus Kleber und Marietta Slomka, die bei mir intern unter dem Namen „ZDF-Domina“ firmiert…

Fest steht jedenfalls: Ein Herbert Wehner hätte einen Reporter, der ihn als „Quoten-Mann“ bezeichnete, in der Pfeife geraucht! Vielleicht hätte Sandra Ciesek auf die erste Frage in Erinnerung an „Onkel Herbert“ antworten sollen: 

„Das ist nicht nur Quatsch, sondern sogar quätscher.“

Um den beiden Damen anschließend mitzuteilen, dass sie sich trollen könnten, wenn ihnen nichts Gescheiteres einfiele.

Was mich noch mehr bekümmert: Auf der einen Seite wird ein Riesen Bohei um irgendeinen blöden Männerwitz oder die Namensänderung von „Mohren-Apotheken“ gemacht – andererseits aber duldet man den alltäglichen Sexismus im Beruf, wo eine Frau immer noch doppelt so viel leisten muss als ein Mann, wenn sie anerkannt werden will! Und das auch in Kreisen, welche von Salon-Linken dominiert werden.

Immerhin übt sich der SPIEGEL nun – nach einer ziemlichen Empörungswelle – im Zurückrudern: 

„Wir haben in unserer montäglichen Redaktionskonferenz über das 'Spiegel'-Gespräch mit der Professorin Sandra Ciesek und die damit einhergehende Kritik kontrovers diskutiert. Unsere Interviews sind oft hart in der Sache und meist auch im Ton. Das lässt sich im Journalismus nicht verhindern, es ist im Gegenteil gewollt. Aber in diesem Fall können wir nachvollziehen, dass die Einstiegsfragen im Ton als unangemessen empfunden worden sind." (…) Es war nie unsere Intention, Frau Cieseks Kompetenz in Frage zu stellen, und wir bedauern, dass dies so verstanden wurde."

https://www.watson.de/deutschland/exklusiv/253332160-nach-debatte-um-sexistische-interviewfragen-spiegel-lenkt-ein-und-zeigt-einsicht

Ich wurde schon einmal heftig für meine Aussage kritisiert, Frauen, auch weiblichen Kabarettisten, fehle oft das „Killer-Gen“. Eine, die darüber reichlich verfügt und daher zu Recht großen Erfolg hat, ist die geborene Bauerntochter Monika Gruber. Was sie zum Männer-Bild äußert, ist ein Beweis für eine Souveränität, welche auch Hochschulprofessorinnen gut anstünde:

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