Von der horizontalen Bedrohung der Tangolehrer



„Vorbild ist nicht eine Möglichkeit, andere zu beeinflussen, sondern die einzige!“
(Albert Einstein)

Der Münchner Tangolehrer Michael G. Kronthaler hat – angeregt von meinem Artikel zu Karen Kayes Veröffentlichung – nun seinerseits einen sehr interessanten Text vorgelegt. In vielerlei Hinsicht stellt er in seiner Spezies eine rühmliche Ausnahme dar: So gibt es von ihm häufig sehr genaue Beschreibungen seines Lehrprogramms inklusive des Wie und Warum, er schätzt offenbar sogar moderne Tangomusik und Tanzstile, hält verbale Aufforderungen nicht für völlig verboten und – das Allerschönste – liest in meinem Blog, gibt das sogar öffentlich zu und sucht gelegentlich den Kontakt mit mir!

Sein Beitrag betitelt sich „Tangolehrer – Prostituierte im Tango?"

Er beleuchtet aus seiner Sicht diverse Klagen einiger Tangoschüler, das Lehrpersonal sei überheblich und unfreundlich. Man werfe ihm das Geld hinterher – und die würden dann nicht mal mit den Anfängern tanzen. Schließlich habe man ein ‚Allroundpaket‘ inklusive Tanzlehrer erworben und somit das Recht dazu – ansonsten greife man in den sozialen Medien zu Begriffen wie „arrogant“ und „asozial“.

Nun verfolge ich seit längerer Zeit solche Debatten – und ja, Überheblichkeit und soziale Defizite bringt man da gelegentlich zur Sprache. In meiner Sicht aus einem einfachen Grund: Weil es stimmt (oder sich dieser Eindruck dem Lernenden zumindest aufdrängen muss). Von einem Recht auf persönliche tänzerische Zuwendung allerdings habe ich noch nie gelesen (und wäre insofern auf einschlägige Zitate gespannt). Das Dienstvertragsrecht kenne ich auch als Zauberer sehr gut: Ein „besonderer Erfolg“ ist da nicht geschuldet. Solange man etwas macht, was entfernt mit Magie bzw. Tangounterricht zu tun hat, ist man aus dem Schneider.

Aber was ist eigentlich so schlimm daran, gelegentlich mit seinen Schülern zu tanzen (ob im Kurs, in der Practica oder der Milonga)? Nach meiner allseits bekannten Ansicht erlernt man diese Bewegungssprache am besten durch den persönlichen Kontakt!

Der Autor beklagt, manche Anfänger meinten, sie könnten nach einigen Unterrichtsstunden bereits auf einer Milonga tanzen. Da darf ich dann schon fragen, wer diesen Unsinn von der „Schnupperstunde“ vorher als Eintrittskarte ins Tangovergnügen haufenweise verbreitet. Die Schüler?

Mehr als im Kurs funktioniere eben auch in der Milonga nicht, so Michael Kronthaler. Und wenn der Lehrer alle Fehler heimlich wegkorrigiere, bilde sich der Neuling noch ein, er sei bereits ein guter Tänzer. Fortgeschrittene gar würden die Schuld beim Lehrer suchen, wenn eine Figur nicht klappe. Gerade dem weiblichen Lehrpersonal bliebe eigentlich gar nichts anderes übrig, als zuweilen das eigene Leiden mit vorzeitigem Abbruch der Tanda zu verkürzen (im Tango-Kodex bekanntlich die Höchststrafe – abgesehen vom Erwähntwerden in meinem Blog).

Das Resümee des Tangolehrers:
„Tanzlehrerinnen und -Lehrer gehen auf eine Milonga, weil auch sie Spaß und Vergnügen haben, Tango zu tanzen. Sie sind manchmal arrogant, eitel, selbstgefällig. Sie lieben es, gesehen und bewundert zu werden. Aber eines sind Tangolehrerinnen und -Lehrer nicht: Prostituierte im Tango.“

Dem stimme ich ja weitgehend zu. Und Prostituierte sind sie schon deshalb nicht, weil selbst der Extremfall des Tanzens mit einem schlechten Schüler keine „Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt“ darstellt – oft nicht mal eine schlecht imitierte Erotik…

Nein, fast im Ernst: Ich wäre schon froh, wenn Tanzlehrer auf entsprechenden Veranstaltungen überhaupt mal tanzen würden! Die Realität (nicht nur im Tango) besteht oft darin, dass sie stundenlang in der Ecke sitzen und gescheit daherreden, unterbrochen lediglich von zwei rituellen Tandas mit den beiden Alphaweibchen (Partnerin sowie Organisatorin des Events, fallweise noch die argentinische Showtänzerin). Transportiert eine solche Passivität die Marketing-Botschaft, Tanzen mache so viel Spaß, dass man es kaum lassen könne?

Der Autor schreibt: Man kann von Schülerinnen und Schülern durchaus einen gewissen gesunden Menschenverstand erwarten.“ Ich gehe sogar noch weiter: von Tangolehrern auch. Es hilft Lernenden, gelegentlich zu erleben, wie sich gutes Tanzen anfühlt – und zwar auch und gerade „auf freier Wildbahn“ und nicht nur in der „beschützenden Tangowerkstatt“! Wer auf diese Option verzichtet, handelt auch wirtschaftlich unvernünftig.

Natürlich liegen da die beschriebenen Missverständnisse nicht fern. Aber muss man deren Korrektur als Lehrender wirklich in einem Blogtext betreiben, anstatt den Schülern im Unterricht klare Ansagen zu machen? Nach den gut 35 Jahren meiner eigenen Lehrtätigkeit weiß ich, dass es Schüler im Endeffekt sehr schätzen, wenn man das sagt, was man meint (affektive Durchgangsphasen von Beleidigtsein zugestanden).

„Führen durch Vorbild“ ist nicht nur ein hergebrachtes Offiziersprinzip. Auf unserer „Wohnzimmer-Milonga“ hatten wir schon eine Menge Tangolehrer, Veranstalter und DJs zu Gast. Seltsamerweise klappt bei uns etwas, das ich mir auch bei größeren Veranstaltungen wünschen würde: Dass gerade  die „Funktionäre“ mit gutem Beispiel vorangehen und freundliche Kontakte zu möglichst vielen Besuchern knüpfen, vor allem auch mit ihnen tanzen. Und nicht so ein Gedrüss machen, wenn es mal schlechter läuft: Die schönste Tanda ist immer die nächste! Mit einem solchen Vorleben tangomäßiger Ideale könnte man sich die ganzen Código-Gesetzlein sparen…

Und sicherheitshalber: Ob man nun nicht mit der eigenen Schülerin tanzt oder mit der eines Kollegen: Die Angst, vor aller Augen eine Anfängerin nicht in den Griff zu bekommen, kann es doch bei solch exzellenten Fähigkeiten nicht sein, oder?

Prostitution hat bekanntlich gerade im Tango viele Bezugspunkte. Frühere Männergenerationen lernten diesen Tanz, indem sie eine Blechmarke erstanden, welche zu einer Tanda mit einer käuflichen Dame berechtigte. Ganz schön traditionell, oder?

Aber selbstredend müssen sich auch Tangoanfänger vor einer Illusion bewahren, nach der angeblich Männer Pornofilme gerne rückwärts ansehen: Weil dann der Freier zum Schluss sein Geld zurückbekommt…

Hier der Link zum Originaltext:

http://tango-x.com/prostituierte-im-tango.html

P.S. Der Autor hat offenbar seinen Text inzwischen gelöscht. Da ich selten was zurücknehmen muss, lasse ich meinen Artikel stehen.

Kommentare

  1. Auf Facebook wird Michaels Text inzwischen fröhlich geteilt und kommentiert. Hier leicht gekürzt und rechtschreibkorrigiert einige Meinungs-Perlen – Kommentar überflüssig:

    „Menschen, die bei mir (…) im Unterricht waren, werden mit viel größerer Wahrscheinlichkeit so tanzen, dass ich mich bei ihnen wohl fühle. Ich bevorzuge einen blutigen Anfänger, der ordentlich gehen und umarmen und der schon einen Bezug zur Musik herstellen kann. (…) Es ist im Gegensatz dazu unwahrscheinlicher, dass ich mich mit Startänzer XY wohl fühle, der mir nur wieder mal zeigen will, dass er besser als mein Partner tanzt und mehr komplexere Figuren beherrscht. Ergo: Klar habe ich außergeschäftliche Kontakte mit meinen Kund/innen. Deswegen unterrichte ich doch: um mehr feine Tanzpartner/innen zu haben. Und nach fast 16 Jahren Tätigkeit bin ich mit der Auslese sehr zufrieden!“

    „Tangopartner sollten ein ungefähr ähnliches Tanzniveau haben, vor allem müssen Tangueras nicht mit Tango-Anfängern tanzen, denn eine solche Tanda würde ihr ja keinen Spaß machen und Tangueros haben an einer Milonga nur eine Aufgabe, den Tangueras Freude zu bereiten. (…) Tanzt nun dieser Anfänger mal mit einer Anfängerin, die eben nicht "das Beste" aus der schlechten Führung des Anfängers herausholen kann, ärgert sich der Anfänger zu Unrecht über seine Tanzpartnerin, dabei sollte er sich über sich selber ärgern. --- Ich habe darum meiner Ehefrau strikt verboten, mit Anfängern zu tanzen, und frage öfters an Milongas gute Tänzer (…), ohne dass das meine Ehefrau merkt natürlich, ob sie mit (ihr) tanzen würden, so kann meine Ehefrau ab und zu mit einem guten Tänzer tanzen und ich, alter Mann, kann mal eine Tanzpause machen. Allerdings würde ich auch gerne einmal mit einer sehr guten Tanguera tanzen, aber ein Italiener tanzt nicht mit Tangueras, die besser tanzen als sie selber...“

    „Ich wurde vor ein paar Tagen von einem Tänzer, den ich noch nie gesehen habe, als arrogant beschimpft, weil ich nie mit ihm und seinem Freund tanze und sie nicht..äähm begrüße und anschaue??! Und dann hätte er im gleichen Gespräch noch gerne eine Privatstunde gebucht, aber nur, wenn ich mich sexy anziehe...“

    Quelle: https://www.facebook.com/athanasios.deligiannis1?hc_ref=ARSlk9vZhe4TG1GZxynjjWJ2b4V-BcwKBfSIHstSHqx5gBILycLevSaHheAcayNzxUw

    AntwortenLöschen
  2. Also die Erfahrung mit italienischen TänzerInnen kann ich nicht teilen. Vielleicht liegt es auch daran dass wir immer auf lokalen italienischen Milongas unterwegs waren. Wir wurden da immer herzlich aufgenommen. Manchmal liegt es halt auch an einem selbst.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Persönliche Erfahrungen habe ich da keine. Ich glaube aber, der Unterschied besteht in vielen Ländern eher zwischen lokalen Milongas und großen Festivals.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.