Anleitung zum Unglücklichsein im Tango



„Wenn ich nicht üben kann, weil man mich nicht auffordert, vergesse ich wieder alles, was ich beim Tango gelernt habe.“ (beratungsresistente Tänzerin zu mir auf einer Milonga)

„Was willst du da vergessen?“ (meine nur gedachte Antwort)

Derzeit erreichen mich in kurzen Abständen herzzerreißende weibliche Botschaften über ihr Unglück auf den Milongas. Dieses besteht natürlich in erster Linie darin, ignoriert statt aufgefordert – oder zweitens von gefühllosen Kerlen im Klammergriff übers Parkett gezogen zu werden. Auch die Arroganz und Cliquenwirtschaft auf vielen Veranstaltungen wird teilweise heftig kritisiert.

Mich bedrückt ein derartiges Leiden. Nach meiner Ansicht muss das nicht sein – jedenfalls nicht in dieser Härte. Also möchte ich mit guten Tipps helfen. Meine niederschmetternde Erfahrung ist, dass von den Betroffenen solche Ratschläge zwar dankbar entgegengenommen, aber kaum verwirklicht werden. Das alles sei gut und schön, aber leider stünden dem momentan dringende Sachzwänge entgegen – also eventuell später mal, vielen Dank! Im Augenblick jedenfalls (welcher sehr lange dauern kann), so scheint es, zieht man es doch lieber vor, unglücklich zu bleiben.

Einen Artikel zu einem ähnlichen Thema habe ich vor langer Zeit schon verfasst:     

Aber vielleicht muss man manche Wahrheiten mit dem Holzhammer festklopfen. Daher nun für die Damen meine ultimativen Ratschläge zum Unglücklichsein:

·         Bekanntlich lernt man Tango am besten mit einem festen Tanzpartner – schon deshalb, weil es ja im 21. Jahrhundert und unserem Kulturkreis für eine Frau unschicklich wäre, des Abends allein auszugehen. Auch wenn der Männe sich als Bewegungslegastheniker erweist und nur unter heftigem Herumnölen zu einem Milongabesuch zu drängen ist: Tanze ausschließlich mit ihm – der Arme ist ja so eifersüchtig (oder traut sich nicht, andere Frauen aufzufordern). Wenn‘s dann mit dem Tango stagniert: Sei unglücklich!

·         Tango lernt man nur in Kursen unter fachmännischer Anleitung, am besten durch einen Argentinier, welcher bekanntlich den authentischen Tango im Blut hat. Das sieht man ja schon an seinen tollen Tangoshows im Internet. Und wer sehr gut tanzen kann, ist auch ein guter Lehrer. Bei freien Übungsgruppen fehlt der Experte, also kann man sich da nicht verbessern. Und Einzelstunden sind ja viel zu teuer. Wenn es daher nach mehreren Kursen und Workshops immer noch nicht klappt: Sei beleidigt!

·         Versuche dein Glück stets auf angesagten und vollen Milongas – die Mehrheit kann nicht irren! Bei der gigantischen Besucherzahl ist ja die Chance, aufgefordert zu werden, besonders groß. Bei kleinen Veranstaltungen in der Provinz wird sicher nichts los sein – und außerdem ist die lange Fahrt unbequem und zu teuer. Wenn du dann im großen Trubel allein herumsitzt und von den dort anwesenden Cliquen ignoriert wirst: Schmolle!

·         Meide alternative Milongas mit schwieriger Musik! Die kann eh keiner richtig tanzen, also wird man dich auch nicht auffordern. Zudem gibt es dort weniger Gäste und auch keine Angebote von hübschen Kleidern und Tanzschühchen… langweilig! Wenn dir dann auf traditionellen Veranstaltungen vom vielen Herumstarren die Augen tränen: Leide!

·         Beim Tango verständigt man sich bekanntlich nur mit Blicken: Das war schon immer so und ist daher gut. Es ist mithin nicht schicklich, andere Gäste anzusprechen und Bekanntschaften zu machen – auch nicht zum Zweck eines gemeinsamen Milongabesuchs. Wenn du dann allein herumsitzt: Ärgere dich!

·         Die Pflicht des Weibes beim Tango ist es, stille zu sitzen und zu gucken, bis es von einem Prinzen entdeckt wird. Diesen einmal ganz einfach anzusprechen und um einen Tanz zu bitten, wäre Majestätsbeleidigung und würde zur sofortigen Exkommunikation führen! Es wäre auch ein schwerer Verstoß gegen die „weibliche Solidarität“. Wenn dero Gnaden sich dann lieber um sein Ross als um dich kümmert: Sei muffig!

·         Natürlich bemühst du dich ausschließlich, die besten Tangueros auf dich aufmerksam zu machen. Wenn einer dich gut führt, kannst du ja tanzen. Anfängern solltest du deutlich zeigen, wie sehr dich Tangos mit ihnen nerven. Wenn die dich dann ebenso meiden wie die Startänzer: Sei grantig!

·         Allein üben könnte man zwar auch zu Hause, aber das macht keinen Spaß – und zudem hast du keine Tango-CD. Die Musik ist bei diesem Tanz nicht so wichtig – und der DJ legt ja sowieso auf, was er will – also immer dasselbe. Entscheidend ist der Rhythmus, und der ist eh stets der gleiche. Wenn du also zu wenig zum Tanzen kommst, kann es nur an den Männern liegen: Du bist halt nicht jung, schön und schlank – nur angefressen!

·         Wenn dich ein Typ einmal auffordert, erzähle ihm sofort von deinen Defiziten – damit er weiß, worauf er sich einlässt. Außerdem lieben es Männer, gefragt zu werden, was du eben hättest tanzen sollen oder ob sie dich für talentiert halten. Tanzen sie dann kein zweites Mal mit dir, sei enttäuscht!

·         Achse, Stabilität und Balance sind technische Finessen, die überschätzt werden, damit die Tangolehrer mehr verdienen. Wenn dich dein Tanzpartner gut festhält, funktioniert das automatisch. Vergiss aber nicht, dich zu beklagen, wenn er zu fest drückt und dir keinen Freiraum lässt!

·         Angeblich sollen ja die Frauen früher beide Rollen beherrscht haben. Diese Zeiten haben wir aber Gott sei Dank überwunden! Zudem kommen Frauen, die auch führen und mit anderen Tangueras tanzen, bei den Männern schlecht an. Die könnten ja sonst was denken… Wenn du daher herumsitzt, obwohl auch andere Damen gerne tanzen würden: jammere!

·         Tangokurse beinhalten bekanntlich eine Glücksgarantie: Egal, wie begabt du bist und welche tänzerischen Vorerfahrungen du hast – bekanntlich kann man bereits nach ganz kurzer Lernzeit auf den Milongas mittanzen. Dass in früheren Zeiten die Menschen Tango als eine Lebensaufgabe betrachtet haben, gehört ins Märchenreich. Wenn also der Erfolg ausbleibt, obwohl du schon Wochen oder Monate Zeit und Geld investiert hast, beschwere dich!     

Merke:

Beim Tango zu bleiben und sich trotz gelegentlicher Misserfolge weiter zu bemühen ist anstrengend und öde.
Jammern dagegen befreit und verpflichtet keineswegs zu Konsequenzen!

Über die korrekte Ausführung des Wehklagens informiert dich der folgende Fachaufsatz:
http://www.draufgaengerin.de/jammern-fuer-profis/

Seltsam, dass Männer es nicht mögen, wenn ihre Partnerinnen sich ständig beklagen, aber Hilfestellungen und gute Ratschläge ignorieren. Dieses Erfolgskonzept hat schon deinen Ex in die Flucht getrieben. Also unbedingt weiter versuchen!

Und begib dich vertrauensvoll in die Hände erfahrener Tanzlehrer, welche deine Probleme kennen und dir Hilfe angedeihen lassen (die beteiligten Herrschaften wurden übrigens nicht gecastet, sondern kommen laut Begleittext offenbar freilaufend in Tanzschulen vor):

Kommentare

  1. Neuestes Fundstück zur Emanzipation:

    „In den Milongas von Buenos Aires bietet der Mann die Frau zum Tanzen auf. Es wird nicht gerne gesehen, wenn man als Frau einen Mann zum Tanzen auffordert. In Europa ist das etwas anders, hier sieht man auch immer wieder, dass Frauen die Männer auffordern. Wichtig ist aber zu wissen, dass es die meisten Männer nicht mögen, wenn sie von Frauen zum Tanzen aufgefordert werden. Also muss man unter Umständen ein ‚Nein‘ vom Mann einstecken können.“
    (http://borisandyvettetango.com/de/milonga-knigge/)

    Ausweislich der Website geben die beiden Tanzlehrer derzeit keine Kurse. Ich sehe das als Chance…

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  2. Lieber Gerhard,

    man kann die Liste sicher noch um ein paar Punkte erweitern, z.B.:

    Setz Dich auf der Milonga in’s dunkelste Eck, weit weg vom Aufforderungs-Areal und warte dort zwei Stunden. Kommt in der Zeit kein Tanguero, geh sodann nach Hause – der Frust steht Dir für alle sichtbar in’s Gesicht geschrieben und wird Dir auch für die nächste Milonga an diesem Ort beim Sitzenbleiben helfen.

    (würde es nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte)

    Meine Erfahrung hat ergeben, dass frau da einfach durch muss. Und je weniger Verbissenheit frau an den Tag legt und je lockerer sie mit der Situation umgeht, desto leichter wird das. Es muss einem auch klar sein, dass sich diese Abende durch’s ganze Tangoleben ziehen – nicht nur in der Anfangszeit. Wenn ich heute so einen Abend erlebe, dann ärgere ich mich auch – aber ich bin nicht mehr frustriert oder unglücklich. Ich denke daran, was mir wirklich im Leben wichtig ist und gehe heim. Ich bin halt auch der Meinung, dass ein Hobby – und sei es noch so ein schönes und intensives – das Leben nicht überbeeinflussen sollte.

    Und im Übrigen: Diese Frust-Phasen durchleben doch nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Es ist halt nur einfach so, dass sich ein viel kleinerer Teil der Männer außerhalb des Kurses oder einer Practica auf die Milonga begibt als Frauen. Ein Mann denkt sich viel eher „also des brauch i ned“, wenn er einen Frust-Abend verlebt und bleibt dem Tanzen dann künftig fern – zur Not fadenscheinige Argumente vorbringend. Frauen, die so ungefähr im mittleren Niveau tanzen, haben nach meinen Beobachtungen sogar öfter die Chance, von guten Männern aufgefordert zu werden, als dass Männer mittleren Tanzniveaus (keine Anfänger!) mit sehr guten Frauen tanzen, nur weil sie diese auffordern dürfen.
    Am schwierigsten noch, wenn man fremd in der Stadt / auf der Milonga ist. Dann hält man(n) sich gerne an Tänzerinnen, mit denen es gut geklappt hat und fordert diese sogar ein weiteres Mal auf und tanzt lieber mit 4 verschiedenen Frauen je 3 Mal an dem Abend, bevor man sich vielleicht einen frustrierenden Korb nach dem anderen holt.

    Meine Meinung zum Tango-Frust: Man kann die Menschen nicht ändern, man kann nur sich selbst ändern (oder eben seine Einstellung).

    Liebe Grüße
    Sandra



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    1. Liebe Sandra,

      herzlichen Dank für die Beobachtungen aus weiblicher Sicht!

      Sicherlich leiden auch Männer beim Tango – nur nicht so dramatisch effektiv, sondern eher still. Im Zweifel lassen sie das mit dem Tango wieder, sie können sich ja jederzeit zum Fußball zurückentwickeln: Da spielen diese unberechenbaren Frauen bekanntlich eher eine Nebenrolle.

      Für mich ist ein Hauptgrund der Misere die um sich greifende Regelungswut im Tango: Wie aufzufordern wäre und welches Level auf keinem Fall mit einem anderen tanzen dürfe. Das implementiert bei vielen eine „Schere im Kopf“, also greift man, wie du ja beschreibst, zum „Sicherungsverhalten“ nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt…“

      In unseren Anfangszeiten haben wir uns nicht halb so viele Gedanken dazu gemacht, wie denn welches Verhalten auf wen wirken könnte. Gejammert wurde allerdings auch damals schon: Das Problem beim Paartanz ist halt, zwei Sorten von Menschen miteinander zu kombinieren, die schon sehr unterschiedlich ticken.

      Man kann die Menschen nicht ändern, nur sich selbst – na ja, die Tatsache ausgenommen, dass man selber auch ein Mensch ist… Gerhard Polt hat das einmal sehr treffend beschrieben: „Der Mensch is guat, aber die Leit san a Gschwerl.“

      Herzliche Grüße
      Gerhard

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    2. Lieber Gerhard,

      ich meine es so, dass ich ja den, der mir den Korb gibt, wenn ich ihn auffordere und dessen Einstellung nicht ändern kann. Aber es liegt an mir, wie sehr ich mich dadurch frustrieren lasse.

      Ja Du hast Recht, vor 15 Jahren war das schon anders. Es gab noch nicht so viele Tango-Schulen, die argentinischen Tangolehrer-Paare unterrichteten nicht quasi vor der Haustüre und auch die Zahl der Milongas war in der näheren Umgebung immer übersichtlich, ganz zu schweigen von mehrmals wöchentlich. Man müsste meinen, dass dies doch eigentlich eine Verbesserung darstellt - tut es aber scheinbar nicht...

      Liebe Grüße
      Sandra

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    3. Liebe Sandra,

      ja, ist schon klar: Grundlegend ändern werden sich solche Typen nicht. Aber man könnte schon durchblicken lassen, dass man sie für Deppen hält (Frauen haben da doch recht subtile Methoden). Dann würden sie eventuell etwas vorsichtiger…

      Quantität bringt stets einen Verlust von Qualität. Wenn auf einer Milonga zirka 15 Gäste sind, können meist fast alle gut tanzen. Sind es 100 Besucher, können es vielleicht 20. So verhält es sich auch mit anderen wünschenswerten Eigenschaften. Daher bin ich recht froh, dass unser Wohnzimmer nicht größer ist…

      Liebe Grüße
      Gerhard

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  3. Unglücklich sein im Tango? Aber bitte! Ja doch! Das Wesen des Tango wurde verstanden: "Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann." Es gibt doch kein schöneres Gejammere als das argentinischer Tangosänger!

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    1. Mit Klischees lebt es sich bestimmt leichter.

      Tangotexte sind jedoch nicht immer traurig. Vielleicht etwas Lesestoff zum Thema:

      http://milongafuehrer.blogspot.de/2017/03/fake-news-im-tango.html
      https://milongafuehrer.blogspot.de/2017/01/nino-bien.html
      https://milongafuehrer.blogspot.de/2016/12/tango-woruber-singen-die-uberhaupt.html

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