Tangoschmusen am Jadebusen


„Ich muss die Nase meiner Ollen
an jeder Grenze neu verzollen.“
(Loriot)

Gerade zum beginnenden Frühjahr hin steigt in der Tangoszene die Sehnsucht nach der Ferne wieder erheblich. Während die Urväter dieses Tanzes sich aber – zusammengepfercht in den Zwischendecks von Auswandererschiffen – zu einer Reise ans andere Ende der Welt aufmachten, um dort eine materielle Existenz zu finden, ist es heute eher umgekehrt:

Da buchen finanziell durchaus saturierte Herrschaften schon mal Tangokreuzfahrten, gerne auch zur Pilgerstätte aller Rechtgläubigen, also Buenos Aires – und das, wie uns der Prospekt eines Tangoreiseveranstalters verheißt: „mit garantiertem Meerblick“ (welcher den armen Schluckern von dereinst wohl höchstens durchs Bullauge gelang). Und zudem ist ja das „Getränkepaket Classic bei Buchung einer Außen- oder Balkonkabine im Reisepreis eingeschlossen“ (ob dies nun etwas mit einer alkoholverstärkten Seekrankheit zu tun hat, wird leider nicht verraten).

Aber es geht auch näher: Neben der Kuschelgarantie in der Wesermarsch (siehe Zitat in der Überschrift) darf es auch die „Proitzer Mühle“ (29465 Schnega, also „naher Osten“, ebenso wie das „Oriente Festivalito“ in Dresden), der Spreewald, „Tango in der Rhön“, das „Pfingst-Campo“ im Harz oder gar das „Internationale Tango-Sommercamp Pfännerhall“ (06242 Braunsbedra) sein, welches mit meiner persönlichen „Geisterbahn-Liste“ lockt: „Tangourlaub + Schlafsack + Isomatte + Zelten + Lagerfeuer…“  Irritierenderweise fehlt in der Aufzählung das „Dixi-Klo“.
Fürs gehobene Portmonee natürlich weit exotischer klingen da schon Reiseziele wie Kreta, Elba, Gomera, Venedig oder Davos – jedenfalls, da, wo`s am schönsten ist!

Wichtig ist natürlich stets die Schleiflack-Rhetorik hinsichtlich der schwärmerischen Beschreibung von Hotel plus Landschaft. Einige Kostproben: „Apassionata-Tangohotel“, „verwunschener Landschaftspark mit Barockschloss“, „Tango im Märchenschloss“, „Sommermärchen auf einer der schönsten kroatischen Inseln“, „Tangoferien an einem magischen Ort“ oder gar „Die von mir persönlich ausgewählten Schiffe sind international“ (Verdacht: Billigflagge mit hauptsächlich unterbezahlten Philippinos als Personal). Selbstredend muss das Kind einen schöneren Namen bekommen als das schnöde „Tangoreise“. Stattdessen gibt es „Weihnachtsseminarios“, „Himmelfahrtsseminarios“, „Ladies Easter“, „Herbst-Tangolabs“ und „Tangoakademien“.

Gerne wird auch das tangomäßige Lehrpersonal vorgestellt, dessen Namen – seffaständlich – fast durchwegs südlichen Klang haben und gerade der weiblichen Kundschaft Lust auf Meer (oder gar mehr) machen sollen. So lautet die Antwort eines Tangolehrers auf die Frage nach seiner „Inspiration“ beim Tango: "Lass die Frau, Deine Partnerin, sich wie eine Königin fühlen und wie eine kostbare Blüte erblühen. Dann fühlst auch Du als Mann den Tango in einer neuen Dimension." Die Frage bleibt natürlich, welchen Mann er damit meint…

Zu Höhepunkten dichterischen Schmelzes – verbunden mit einem bunten Wortgeklingel sämtlicher als cool geltender Sprachen – kommt es natürlich bei der Schilderung der gebotenen Eindrücke und Leistungen: Dies reicht von „Verbindung, Balance, Eleganz, Musikalität und Spaß“ über „exquisite Technik und Charme (Unterrichtssprache englisch)“, „Seminare Ladystyling & Manstyling“ oder sogar „nachmittags frei wählbare Specials, Massageteam: Saskia & Sabine“. Na, na… Richtig bedrohlich gereimt wird aber in einer Workshop-Ankündigung zum Corte:
„Auch die Para da kann ein Corte sein.
Ob Tango-, Vals-, Milongarhythmus,
der Schnitt im Schritt stets mit muss.“
O jessas, gerate ich da eventuell in eine Tango-Initiation per Beschneidungsritus? Ich glaube, ich fahre doch nicht ins Vogtland…

Aber vielleicht wird ja doch nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. In den AGB eines Tangoreiseveranstalters fand ich – in zwei aufeinanderfolgenden Absätzen – diese rechtlichen Belehrungen:
„Die von uns im Internet oder in sonstigen der Buchung zugrunde liegenden Beschreibungen der Reiseleistungen dargestellten Angebote stellen kein verbindliches Vertragsangebot dar.“
Allein maßgeblich für die vom Veranstalter geschuldete Leistung ist die Leistungsbeschreibung im Internet und der Inhalt der Reisebestätigung.“
Na gut, nach einem abgeschlossenen Jurastudium erschließt sich mir bestimmt der tiefere Sinn und ich darf dann gerne eine Tangoreise unternehmen…

Dennoch werden manche Männer eventuell schon von Kastrationsängsten heimgesucht, wenn ihre Partnerin mal schnell für beide eine Tangoreise bucht, so nach dem Motto: „Gell, Schatz, damit wir mal wieder was gemeinsam unternehmen!“ Das weibliche Ziel ist natürlich nicht nur ein touristisches Erlebnis, sondern das Kalkül, dem Männe, welcher „mir sonst kaum zum Tango geht“, mal für eine Woche keine Fluchtmöglichkeit zu lassen (bei Tangokreuzfahrten höchstens per Rettungsboot). Doch Vorsicht, meine Damen! Nach meiner Erfahrung könnten die Herren Partner im Gegenzug eine solche Beziehung endlich gestalten schon, weil ihre Sekretärin sie nicht zum Tango zwingt!

Eine sinnvolle Alternative fand ich jüngst im Internet. Ein Tangolehrer bietet dort einen zum Patent angemeldeten „Tango Pop Trainer“ an: An einer senkrechten Stange (!) mit Handgriffen können die Tangueras da per Schwungübungen ihre „Ochos, Giros, Voleos, Enrosques“ etc. üben. Die Beschreibung liefert den genialen Satz: „Wer sucht nicht den perfekten Partner, der jederzeit verfügbar ist, stundenlang durchhält, inspirierendes Feedback gibt und nie meckert?“

Und vor allem: Er hält (anders als der Tangolehrer) beim Tanzen die Klappe... 

Mag es auch eine märchenhafte Vorstellung sein – wie in einem Tangoreiseprospekt in Technicolor abgebildet – am Meer bei Sonnenuntergang mit einer hübschen Chica auf dem Bootssteg zu tanzen: Das Bild ist ziemlich schlecht fotomontiert, sonst wäre die Tangotante schon längst mit ihren Stilettos zwischen den Planken hängengeblieben. In der Realität ist es leider wurscht, ob man am Meeresstrand, unter einem Kandelaber im Feenschloss oder bei Neonlicht in der Turnhalle aus der Achse fällt. Letzteres ist allerdings wesentlich preiswerter…

Übrigens musste ich nach all dem geblümelten Dünnsinn nicht lange suchen: Das meiste davon fand ich auf den letzten 12 Reklameseiten (plus einem beiliegenden Reiseflyer) in der Ausgabe 1/2015 der Zeitschrift „Tangodanza“ – nebst zirka 30 Abbildungen brünstiger Tangopaare. Für mich war dies das letzte Heft, da ich das Abo inzwischen gekündigt habe. Sollte man in Bielefeld allerdings dereinst einmal den Reklameteil gesondert anbieten, werde ich mir eine Bestellung dieses Anhangs überlegen – der ist Vergnügen pur!

„Allein reisen heißt Erfahrungen machen – zu zweit reisen bedeutet, Erfahrungen transportieren.“
(Werner Schneyder)

Aktualisierung 2019:

Auch der neuen Ausgabe der „Tangodanza" lagen wieder bunte Urlaubs-Flyer bei:

Beispielsweise kann man da im Parkhotel „Übungspraktika" sowie Verpflegung , Milongas, einen Tangoball, Leihbademantel plus Saunatuch und vieles mehr buchen.

Und in einem Meckpomm-Schloss lernt man nicht nur Tango, sondern auch „Neiyanggong"
inklusive dessen „Torsion" und des „Spiraligen".

Beim folgenden
Tanz auf dem Vulkan" dagegen wird wohl in erster Linie gekocht und gegessen. Motto: Erst kommt das Fressen, dann das Caminar...


Kommentare

  1. "Da sitz' ich nun allein zu Haus...
    Der Mond schaut wie ein Knödel aus -
    und hing er nicht am Himmel droben,
    ich stupste ihn,
    er läg am Boden."
    (Pumuckl)

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    1. Mei, so a schön's Gedicht - und das auch noch pünktlich zur Sonnenfinsternis! Dass sich unser Fixstern bei manchen Tangoreisen ned öfter verdunkelt, ist mir allerdings ein Rätsel...

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  2. Für die im "Tangolatein" nicht so Geübten: Der (oder die?) Corte (span: "Schnitt") ist eine Unterbrechung des Tanzflusses - man könnte auch "Stopp" sagen, aber dann wär' die ganze Romantik weg...

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