CARLOS COPELLO und die Schubladen


Der Argentinier Carlos Copello ist ein professioneller Tänzer, Choreograf und Tangolehrer, der weltweit (u.a. am Broadway und in Japan) in Shows auftrat, oft mit seiner Partnerin Alicia Monti. Er wirkte auch in etlichen Filmen (z.B. “Tango Lesson”) mit. In einem Interview schreibt der heute 75-jährige Milonguero den “Tango-Schubladen-Sortierern” so einiges ins Stammbuch, das diese bestimmt nicht gerne lesen.
 
Ein Auszug, bei dem es anfangs um heutige Tangolehrer geht (meine Übersetzung der englischen Untertitel):

“Ich möchte nicht über die Dinge reden, die ich da sehe, weil ich an meiner Schule Schreckliches erblickte: ‘Dieser Hurensohn macht den Tango kaputt!’, verstehen Sie? Denn er fängt an, über die Art der Muskulatur und die Technik zu reden, die einzelnen Muskeln hier und dort... und ich schaue zurück auf meine frühen Tage, als ich einen Schritt lernte: Ich konnte nicht mal gehen, verdammt nochmal! Was konnte ich da über Muskeln, Energie und Technik wissen? Keine Ahnung, über was alles die reden! Ich versteh’s gar nicht! Und dann geht einer tanzen und hat überhaupt nichts kapiert! Glauben Sie mir, er versteht nichts! Weil der Junge, der tanzen geht – so war es bei mir – hört den Anfang und das Ende eines Stücks, alles dazwischen war für mich nur Geräusch, nur Lärm. Und ich tanzte einfach, verstehen Sie? (...)

Ich sah die Vorrunden der Tango-Weltmeisterschaft – und mit allem Respekt für die Jungs und Mädels – weil ich hab sie wirklich gern – von den Anfängern bis zu den weit Fortgeschrittenen: Hebt euren Hintern auf und los geht’s, tanzt! Und sie starten allen Ernstes mit dem ‘Villa Urquiza-Stil’. Ich möchte mal wissen, ob jemand von Ihnen den ‘Villa Urquiza-Stil’ kennt? Ich bin sicher, keiner weiß, was das ist. Weil Portalea nicht tanzte wie Perita, Perita nicht wie Turco José oder Francisquito oder Milonguita oder Fino. Keiner tanzte wie der andere! Oder Lampazo! Schaut euch eine Reihe von Videos an – worüber redet man da überhaupt? 'Villa Urquiza-Stil'? Ganz ehrlich: Da bin ich persönlich ratlos, glauben Sie mir!

Ich meine, in einem Tango-Wettbewerb sollte jeder auf seine Weise tanzen. Oder Ihnen wird erzählt, so wie uns, als wir mit El Negro sprachen: ‘Ich mache Bühnentango!’ Zum Teufel, entweder ihr tanzt Tango oder nicht! Umarmt euren Tango! Ich tanze Tango, fertig! ‘Nein, ich tanze Bühnentango, nein, ich tanze...’ Nein, ich tanze Tango auf meine Weise. Wenn es Ihnen gefällt, applaudieren Sie – wenn nicht, dann nicht. Fertig!

Und deshalb sage ich nicht: ‘Ich bin der König des Tango.’ Nein, ich habe meinen Stil, meine Art. Das ist mein Tango. Ich weiß nicht, ob er ganz toll ist, ganz schlecht oder Mittelmaß. Und mich kümmert es nicht, es herauszufinden. Ich weiß, was ich fühle, wenn ich tanze, und ich weiß, was ich tue. Das war’s dann schon, verstehen Sie? Jeder muss sich in seine eigene Art hineinfühlen – und hört auf mit dem Quatsch wie dem ‘Villa Urquiza-Stil’! Vergesst es!”

(Frage: “Denken Sie also, es gibt keine Stile?”)

"Jeder von uns hat seinen Stil.Und ich mag die Leute, die einen persönlichen Stil haben, einen individuellen Stil für alles. In ihrer Aufmachung, ihrem Tanz, in allem, ganz egal, was sie tun. (...) Persönlichkeit, das ist es!"

Das ganze Interview findet man hier:

https://www.youtube.com/watch?v=tDhyu5jadTo&t=3s

 

Kommentare

  1. Für diejenigen, welche es genauer (?) wissen wollen:

    Der Name „Villa Urquiza“ bezieht sich auf einen Stadtteil im Nordwesten von Buenos Aires, aus dem dieser Tanzstil angeblich stammt. Bei „Wikipedia“ fand ich einen Satz dazu: „Eine neu aufkommende Variante des Salonstils ist der Villa-Urquiza-Stil, bei dem die Folgenden mehr Freiheit für Verzierungen haben.“

    Viel Spaß bei der weiteren Suche!

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  2. Jetzt hab ich doch noch was dazu entdeckt, und zwar auf der Website von "Bailando Reisen":
    „Mittlerweile wird der ‚Urquiza Stil‘ als klassisch puristischer Stil im Tango weltweit geschätzt und gelehrt. Schlichtheit und Eleganz stehen im Vordergrund statt eine Vielzahl an Figuren.“
    Ah so, und ich dachte? Aber von Augsburg aus betrachtet sieht wohl Vieles schlichter aus...

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  3. danke für den ausführlichen informativen Artikel, auch das Interview von Carlos Capello ist sehr interessant ... muchas gracias ...

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    1. Vielen Dank! Bitte nennen Sie aber bei weiteren Kommentaren Ihren Namen.

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