Jetzt traut’s euch halt amal!
„Volle
Hosen haben in Deutschland eine Halbwertszeit von zwei Generationen“
(Dieter
Hildebrandt)
Um
nicht gleich wieder vom Tango anzufangen: Als 18-Jähriger teilte ich meinem
Vater kurz nach meiner Musterung mit, ich werde mich um meine Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer bemühen. (Für die Jüngeren: Da gab es mal staatliche „Gewissensprüfungs-Ausschüsse.“)
Ich nahm an, meinen Papa damit sehr zu erfreuen – schließlich durfte dieser den Dienst am „Großdeutschen Reich“ in der Wehrmacht mit fünf Jahren
russischer Gefangenschaft büßen und kam mit ruinierter Gesundheit sowie
der Überzeugung zurück, Krieg sei ein Verbrechen an der Menschheit. Doch weit
gefehlt! Er riet mir dringend davon ab, zu „verweigern“, wegen der
gesellschaftlichen Nachteile – und weil ich doch mal Beamter werden wolle…
Der
bin ich geworden, sogar beim Freistaat Bayern, welcher mir heute eine
stattliche Pension zahlt, obwohl ich damals meine 18 Monate Zivildienst ableistete,
um – wie ich in meinem jugendlichen Radikalismus stolz verkündete – „lieber geistig Behinderte zu betreuen als
ihnen zu gehorchen“. Schlimmer noch, wir etablierten seinerzeit in einem
kirchlichen Jugendverband eine „Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer“. Einmal
hatten wir es mit einem jungen Mann zu tun, der in einem zweistündigen Gespräch
nun wirklich alles ganz genau wissen wollte. Doch selbst nach erschöpfendsten
Auskünften blieb er sitzen und druckste herum. Irgendetwas schien er noch auf
dem Herzen zu haben. Schließlich kitzelten wir sein größtes Bedenken aus ihm
heraus – es bestand aus der Frage: „Was
halten eigentlich Frauen von Kriegsdienstverweigerern?“
Ich glaube, ich habe damals etwas in dieser Art geantwortet: „Frauen, die auf eine Uniform abfahren, wären eh nicht mein Typ."
Womit
wir beim Tango wären: Als ich vor über fünf Jahren die erste Version meines „Milonga-Führers“
veröffentlichte und dabei – für mich ganz selbstverständlich – auch Kritik laut
und vernehmlich äußerte, war ich besonders fassungslos über Sprüche im
Internet: Ich werde zukünftig sicherlich „Taxitänzerinnen“ benötigen, da
freiwillig wohl keine Tanguera mehr mit mir das Parkett betreten werde, werde
hinfort sozial vereinsamen und vieles mehr. Diese Zusammenhänge haben sich mir
bis heute nicht erschlossen – wohl vor allem deshalb, weil sie nicht existieren.
Was es gab und offenbar bis heute gibt, sind freilich arme Würschtl, welche auf
eine solche Weise ihre eigenen, irrationalen Ängste verbalisieren…
Selbst
ein gestandener, langjähriger Tango-DJ äußerte sich zu meinem Buch mehrfach wie
folgt: „Also, ich hätte mich das nie getraut!“ (Meist wagte er dies nicht
einmal mir zu sagen, sondern flüsterte es einer meiner Begleiterinnen zwischen zwei
Tänzen ins Ohr…) Die positiven E-Mails zu meinen Büchern füllen inzwischen einen
dicken Ordner (siehe „Kundenstimmen“) – allerdings traut
sich höchstens ein Promille der Schreiber, mich auch öffentlich zu loben.
Selbst von erfahrenen Tangoveranstaltern und -lehrern erreichen mich begeisterte
Nachrichten zu meinen Texten – aber bitte alles persönlich und geheim, man
könnte ja sonst Kunden verlieren…
Die
Bereitschaft, öffentlich die Meinung zu sagen und mit seinem guten Namen dafür
einzustehen, ist hierzulande weiß Gott Mangelware. Neulich zum Beispiel habe
ich als „Silver Surfer“ die Plattform „Seniorbook“ entdeckt, wo man in tausenden Kommentaren
gesellschaftlich bedeutende Fragen diskutiert wie „Ist es wichtig, dass ein Mann auf
ansprechende Unterwäsche achtet? Und was gefällt eigentlich der Frau?“
Freilich firmieren auch dort die
Ansichtsgeber meist nur als „Heinz-Peter
12“ respektive „Mäuschen 3“.
Wahrlich, wenn ich darüber nachdenke, wie leicht es heute wohl schon wieder
wäre, das Grundrecht der freien Meinungsäußerung zu beschränken oder gar
abzuschaffen, rutscht mir das Herz in die (selbstredend nicht näher beschriebene) Buxe…
Nun soll dies alles ja keine
Schleichwerbung dafür sein, ausgerechnet in meinem Blog mehr Kommentare zu
posten (obwohl mich dies natürlich freuen würde). Aber warum erzählt man mir
privat von schrecklichen Milongas, arroganten Tänzern oder öder Beschallung
beim Tangounterricht (Letzteres erst wieder am vergangenen Freitag), anstatt einmal
mutig sein Anliegen persönlich beim Veranstalter, Tangolehrer oder DJ
vorzubringen? Oder es zumindest öffentlich zu posten?
Liebe Tangofreunde und -feinde,
das tut bestimmt nicht weh! Ich habe mir durch meine lästerlichen Ansichten
bisher noch nicht einmal ein Hausverbot auf einer Milonga eingehandelt – eher verstärkt
sich bei mir der Eindruck, manche Gastgeber würden mich besorgt beobachten, ob
mir ihr Tangoabend auch gefalle. Und noch nie sind mir beim Tanzen Gestalten
mit Geschirrtüchern auf dem Haupt oder Sprengstoffgürteln um die Lenden aufgefallen:
Je suis Gérard, und dabei bleibts!
Und wenn wir schon mal dabei
sind, uns Mut anzudenken: Vielleicht könnten sich – knapp hundert Jahre,
nachdem mutige Sozialdemokratinnen bei uns das Frauenwahlrecht erkämpften – manche
Damen auch einmal allein zum Tango trauen, obwohl ihr nölender Gatte nicht
gerne tanzt und solche Eskapaden missbilligt, welche sich natürlich grundlegend
von seinem wöchentlichen Kegelabend unterscheiden. Das darf doch nicht wahr
sein: Da erkämpfen sich 16-jährige Mädchen mit Zähnen und Klauen die Erlaubnis
ihrer Eltern, bis in die Puppen schwofen zu gehen – und wenige Jahre später ist
durch den Wechsel des Halters alles schon wieder vorbei…
Doch Feigheit ist ja keine geschlechtsspezifische
Eigenschaft: Vor Jahren bestellte eine internationale Tangoberühmtheit ein Buch
von mir und sandte es umgehend mit einem bitterbösen Verriss retour. Der gleiche Mann lässt es sich aber offenbar bis heute gefallen, dass die Exfrau –
tangomäßig noch bekannter – ihn praktisch vollständig aus ihrer
öffentlichen Biografie eliminiert hat.
Er schrieb mir damals: „Tango ist Synonym für Freiheit, wussten Sie das?“
Aber ja, Herr Klapwijk, ich schon!
Aktuelle Anmerkung 23.8.22:
Nach meiner Wahrnehmung hat sich an den beschriebenen Missständen bis heute wenig geändert. Immer noch erhalte ich haufenweise namenlose Kommentare – manche sogar mit dem Zusatz: „Anonym - ist mir klar, dass es nicht veröffentlicht wird."
Kein Zweifel: Im Tango riecht es nach wie vor nach Angstschweiß. Und dieser tut der Entwicklung unserer Szene weiterhin nicht gut.
Nachdem sich Ricardo Klapwijk heute bei mir beschwert hat:
AntwortenLöschenDie Feststellung, dass Feigheit keine geschlechtsspezifische Eigenschaft ist, gilt ganz allgemein. Auf den Exmann von Nicole Nau bezogen hat es mich lediglich gewundert, dass er sich das Beschriebene offenbar gefallen lässt. Natürlich steht es ihm frei, sich über seine privaten Motive auszuschweigen. Vermutungen allerdings sind zulässig!