Detlef und die Amphore
Eine Amphore
bzw. Amphora (von altgriechisch ἀμφορεύς amphoreus
‚zweihenkliges Tongefäß‘; gebildet aus ἀμφί amphí ‚auf beiden Seiten‘ sowie φέρειν phérein ‚tragen‘) ist ein bauchiges enghalsiges Gefäß mit zwei Henkeln meist aus Ton, aber auch aus Metall (Bronze, Silber,
Gold). Durch zwei Henkel sollte ursprünglich das Tragen erleichtert werden.
Amphoren sind zu den antiken Vasen zu zählen. (…) Häufig wurden sie als Einwegbehälter nach
dem Transport weggeworfen…
Es
geschah vor Kurzem auf dem Heimweg von einer Milonga, auf der meine Frau und
ich wie üblich die erlebten Eindrücke Revue passieren ließen. Wieder einmal
drehte sich unser Gespräch um den „Tango als Rentnertanz“, die Langeweile, die
sich per unheiliger Allianz von Musik, Publikum und Bewegungsweise auf vielen Tangoveranstaltungen
breit macht.
Da wir in unserem Alter (!) natürlich zur Nostalgie neigen, erinnerten wir uns wehmütig an unsere einstige Lieblingsmilonga im Tanzsaal eines alten, denkmalgeschützten Wirtshauses einer Kleinstadt, an den dortigen Gastgeber und DJ, der uns, zusätzlich zu dem im Winter bullernden Kanonenofen, mit heißer Musik aus allen erdenklichen Richtungen einheizte. Was gab es da an kreativen, ungewöhnlichen Tanzstilen zu erleben – und vor allem Bewegungstalente, die fast jede Runde auf dem Parkett zu einem Abenteuer werden ließen und den monatlichen Tangoabend als „Pflichttermin“ installierten, den zu versäumen wir nie gewagt hätten. Doch diese „gute, alte Zeit“ ist Geschichte – der Nachfolger hatte es nicht geschafft, diesen Zauber zu erhalten, die Milonga gibt es längst nicht mehr.
Da wir in unserem Alter (!) natürlich zur Nostalgie neigen, erinnerten wir uns wehmütig an unsere einstige Lieblingsmilonga im Tanzsaal eines alten, denkmalgeschützten Wirtshauses einer Kleinstadt, an den dortigen Gastgeber und DJ, der uns, zusätzlich zu dem im Winter bullernden Kanonenofen, mit heißer Musik aus allen erdenklichen Richtungen einheizte. Was gab es da an kreativen, ungewöhnlichen Tanzstilen zu erleben – und vor allem Bewegungstalente, die fast jede Runde auf dem Parkett zu einem Abenteuer werden ließen und den monatlichen Tangoabend als „Pflichttermin“ installierten, den zu versäumen wir nie gewagt hätten. Doch diese „gute, alte Zeit“ ist Geschichte – der Nachfolger hatte es nicht geschafft, diesen Zauber zu erhalten, die Milonga gibt es längst nicht mehr.
Da
fiel uns plötzlich Detlef ein.
Er
war eines Tages in der Tangoszene aufgetaucht und zeichnete sich für ein halbes
Jahr durch Dauerpräsenz auf allen möglichen Tangotreffs aus, bevor er – ebenso ansatzlos
– wieder verschwand. Detlef war ein bejahrter, gepflegter und gut aussehender
Kavalier der alten Schule, so eine Art später Cary Grant mit tadellosen
Manieren. Auf jedem Kreuzfahrtschiff wäre er sofort als „gentleman host“ zur
Betanzung alleinstehender älterer Damen engagiert worden – rank, schlank und edel gekleidet, wie er war.
Es
gab mit Detlef nur ein winziges Problem: Er konnte nicht tanzen – nicht mal Tango.
Doch
dies störte ihn kein bisschen, ja, er gab es sogar freimütig zu: Im
umfangreichen Small Talk, den er jedem (und vor allem jeder!) außerhalb des
Parketts aufdrängte, brachte er stets seine Bewunderung für deren Tanzkünste
zum Ausdruck – und das in einem derart kohlehydratreichen Tonfall, dass man
zumindest Diabetikerinnen vor ihm hätte warnen sollen. Zudem er forderte er
gerne und viel auf – und da es dereinst noch genügend junge Tangueras gab,
bevorzugt diese.
Legendär
war sein Tanzstil: Der bestand zu Beginn aus einer mindestens halbminütigen
Pause, welche er allerdings geschickt zum Aufbau einer höchst sensitiven und
nahen Umarmung nutzte („never sacrifice
the embrace for a step“). Wenn er dann endlich den ersten Schritt unternahm,
hatte er natürlich keine Ahnung, auf welchem Fuß seine Partnerin stand, und landete
daher mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent auf diesem. Sofort
stoppte er dann den Bewegungstaumel und hauchte der Dame in ersterbend-heiserem
Tonfall ein „Tschschschuuuuldigung“ zu
– und dieses für sie trotzdem deutlich vernehmbar, da Detlef vorsichtshalber
längst seine Lippen in deren rechter Ohrmuschel versenkt hatte. So ging es –
mit einer Frequenz von zirka vier Schritten pro Minute – stetig weiter, wobei
unser Tangokavalier die umfänglichen Pausen stets zu neuem Balzgesäusel nutzte:
„Ssooo schön, wie du tanzt…. röchel… wie
musssikaalisch du bist… seufz… toll… stöhn“ (Wie moralisch der Text blieb,
kann ich leider aus eigener Erfahrung nicht beschwören!).
Für
eine kurze Zeit war Detlef sogar drauf und dran, in den Olymp der Tangoszene
vorzustoßen: Wie aus gut unterrichteter Quelle verlautete, gelang es ihm, mit
einer anerkannten Tangoexpertin die Bewegung in der Horizontalen auch außerhalb
der Tanzfläche fortzusetzen – jedenfalls sah man die beiden öfters auf
Milongas, wobei seine neue Partnerin mit Inbrunst und wenig Erfolg versuchte,
ihn mit der choreografischen Mindestversorgung auszustatten. Könnte sein, dass
unserem Detlef die Unterrichtung bald zu stressig wurde oder er sich was Jüngeres suchte – die Beziehung endete
ziemlich schnell und angeblich unter großem Getöse…
Doch
dies focht unseren Frauenversteher nicht an! Kurz darauf erschien er auf
unserer oben beschriebenen Kultmilonga, und dies mit einem wahren Prachtweib: Gesegnet
mit einer Figur vom Typus „Brunhilde“ überragte sie unseren nicht gerade
kleinen Detlef um Haupteslänge – wenn man die seit Farah Diba nicht mehr
gesehene, antik gelockte Hochsteckfrisur dazu nimmt, auch gerne um zwei Köpfe –
und falls Detlef hinter ihr stand, war er unsichtbar... Das Schönste aber: Sie
konnte genauso wenig Tango tanzen wie ihr schneidiger Verehrer! Die Rundungen
der Dame waren ohne Zuhilfenahme der Hände nur mit einer antiken Vase zu
beschreiben – daher die (zugegebenerweise vom Verfasser erfundene)
Tarnbezeichnung „Detlef und die Amphore“,
unter welcher die beiden zur häufig erwähnten Anekdote des ortsüblichen Tangotratsches
wurden: eine exotische, amüsante Ausnahmeerscheinung.
Von Andokides-Maler - The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202. . Image renamed from Image:Andokides-Maler 002.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2724726
Wie nicht selten, verschwanden die beiden eines Tages von jetzt auf gleich aus der Szene und wurden nie mehr gesehen.
Von Andokides-Maler - The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202. . Image renamed from Image:Andokides-Maler 002.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2724726
Wie nicht selten, verschwanden die beiden eines Tages von jetzt auf gleich aus der Szene und wurden nie mehr gesehen.
Während
wir noch über dieses legendäre Pärchen kicherten, hatten wir beide schon längst
die Hälfte unseres Heimweges zurückgelegt. Plötzlich kam mir ein schrecklicher
Gedanke: „Ist dir klar, dass die beiden
beim heutigen Tangopersonal überhaupt nicht mehr auffallen würden?“ Meine
Frau nickte nur stumm.
Der
Rest der Fahrt verlief schweigend.
P.S. Die Geschichte ist wahr, der Name Detlef
allerdings – wie auf Tangoblogs üblich – ein Pseudonym.
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