Die Pharisäer jagen ein Weibsbild
Wahrscheinlich begebe ich mich heute in die Gefahr, über ein Thema zu schreiben, das ich lieber professionellen Journalisten überlassen sollte. Aber mein Ärger ist groß genug, es dennoch zu tun:
Es geht um das Trauerspiel, das derzeit zur Wahl der hoch angesehenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zum Bundesverfassungsgericht stattfindet: Nachdem der Richterwahlausschuss des Bundestags zunächst mit den Stimmen auch der Union der Kandidatin zustimmte, ließ man nach einer wüsten Kampagne rechter Stimmungsmacher die Abstimmung im Bundestag nun platzen, da Gegenstimmen aus der Union zu befürchten waren.
Der juristisch bestens qualifizierten Professorin wurde vorgeworfen, „linksextreme Positionen“ zu vertreten, weil sie sich unter anderem für ein liberaleres Abtreibungsrecht einsetzt – übrigens nach Umfragen auch der Wunsch von fast 80 Prozent aller befragten Deutschen:
Zum Stil der Kampagne passt, dass man bezüglich der Doktorarbeit der Juristin auch Aussagen eines bekannten, aber vorbestraften „Plagiatsjägers“ kolportierte, welche jener aber selber nicht als Plagiats-Vorwurf verstanden wissen wollte. Ein erstes Gutachten ergab inzwischen, dass die Vorwürfe wohl haltlos sind:
https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/brosius-gersdorf-plagiatsvorwuerfe-gutachten-100.html
Dass auch die katholische Kirche im trüben Sumpf mitmischte, verwundert mich nicht: So warnte der Bamberger Erzbischof in einer Predigt vor einem „Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung". Ein wenig, so scheint mir, hängt man noch an der Tradition der Hexenverbrennung…
Dass die Richter-Kandidatin sich gestern in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ ausführlich zu der Rufmord-Kampagne äußerte, wird wenig bewirken. Das Verfolgen längerer Texte ist für bestimmte Leute wohl eine Überforderung – weshalb ich es desto mehr empfehle:
https://www.youtube.com/watch?v=a06i6dpyT_E
Das Gespräch zeigt eine Frau, der die Angriffe – inklusive Morddrohungen – ziemlich zugesetzt haben: Von der wissenschaftlichen Arbeit nun plötzlich in das schmutzige Geschäft dessen gezogen zu werden, was manche als „Meinungsäußerung“ verstehen, ist schwer auszuhalten. Verständlich, dass die Professorin nun sagt, sie würde ihre Kandidatur zurückziehen, wenn sie das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts beschädige.
Ohne die Debatte mit meinen Erlebnissen in der „Tango-Bonsaiwelt“ vergleichen zu wollen, habe ich dennoch ähnliche Mechanismen erlebt. Beispielsweise kann ich zwar keine Doktorarbeit vorweisen, aber das Manöver, meine Artikel auf der Suche nach „Skandalen“ zu durchforsten, kenne ich nur zu gut. Vor allem auch die Versuche, meinen Ruf durch unglaubliche Hetzschriften zu ruinieren. Gerne auch mit anonymen Zitaten und ebenso namenlosen „Zeugen“ zu meiner früheren Berufstätigkeit.
Mein Vorteil ist sicher auch, dass ich das Fliegen von Dreck seit der Veröffentlichung meines Tangobuches gewöhnt bin. Ich hatte also genügend Zeit, mich mit Randerscheinungen der menschlichen Existenz zu befassen.
Glücklicherweise hat Frauke Brosius-Gersdorf auch viele Unterstützer. Zirka 300 Berufskolleginnen und Kollegen schreiben in einem Offenen Brief unter anderem:
„Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamie-rungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung. Dass dann ausgesprochen unglaubhafte Plagiatsvorwürfe als Vorwand für eine Vertagung herhalten müssen und dadurch eine weitere Beschädigung der Kandidatin in Kauf genommen wird, ist ein Angriff auf das Ansehen der Wissenschaft und ihrer Vertreterinnen und Vertreter.
Das Bundesverfassungsgericht und die deutsche Staatsrechtslehre haben ihr hohes – auch internationales – Ansehen nicht zuletzt durch die wohl einzigartige Verbindung von Verfassungspraxis und Verfassungsrechtswissenschaft gewonnen. Dies setzt aber voraus, dass Rechtswissenschaftler und Rechtswissenschaftlerinnen, die sich an dieser Praxis beteiligen sollen, von der Politik vor Herabwürdigung geschützt werden. Im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf ist dies den dafür verantwortlichen Personen und Institutionen bisher nicht gelungen.“
https://www.oer.ruhr-uni-bochum.de/oer/mam/content/stellungnahme-richterwahl.pdf
Dass Frauke Brosius-Gersdorf nach diesem Erstkontakt mit Großschnauzen und Rufmördern die Nase voll hat, kann ich gut verstehen. Aus meinen persönlichen Erfahrungen rate ich ihr jedoch, die Sache durchzustehen. Und ja, übrigens auch der SPD…
Ich weiß, dass alles andere solchen Leuten nur Auftrieb gibt – ihre Gehirn-Reste werden das nur als Aufforderung begreifen, in dem Stil weiterzumachen. Und dann den nächsten Richter oder Verwaltungsbeamten abzuschießen. Man darf solchen Leuten um keinen Millimeter nachgeben. Als Frau schon gar nicht!
Und wenn es Männern wirklich um den Schutz ungeborenen Lebens ginge, könnten sie ja mal Familienplanung auch als ihre eigene Aufgabe begreifen. Aber das scheint eine Überforderung zu sein…
P.S. Persönlich tue ich mich mit dem Thema Abtreibung schwer. Aber ich bin als Mann nicht vermessen genug, dabei über Frauen zu urteilen…
Frauke Brosius-Gersdorf hat über ihre Anwaltskanzlei eine schriftliche Erklärung verbreiten lassen. Darin heißt es:
AntwortenLöschen1. Die Berichterstattung über meine Person und meine inhaltlichen Positionen im Zusammenhang mit der Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts war in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent. Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern. Die Bezeichnung meiner Person als „ultralinks“ oder „linksradikal“ ist diffamierend und realitätsfern. Inakzeptabel ist auch die Berufung auf anonyme Quellen, zumal, wenn es sich bei dieser Quelle um eine Justizministerin handeln soll.
2. Kritik müssen sich auch einzelne staatliche Funktionsträger gefallen lassen. Welchen Grund gibt es, sich als Mitglied einer Landesregierung, zumal aus dem Bereich der Justiz, in einer Debatte um eine Verfassungsrichterwahl anonym zu äußern? In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern und ein „digitales Vermummungsverbot“ diskutieren, befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates. Selbst anonym an medialer Kritik bis hin zu Schmähungen anderer mitzuwirken und gleichzeitig für sich selbst Schmähungsschutz zu fordern, steht im Widerspruch.
3. Eine eingehende und vollständige inhaltliche Befassung mit meinen wissenschaftlichen Beiträgen hätte gezeigt, dass der Schwerpunkt meiner Forschung das Verfassungs , Sozial- und Bildungsrecht ist und dabei auch Themen wie die Regulierung und Finanzierung von Schulen, die Sicherung kommunaler Daseinsvorsorge in Deutschland, die Bewältigung des demografischen Wandels, die Reform unserer Sozialversicherungssysteme und die Digitalisierung der Verwaltung gehören. Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch zu, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte. Einseitige Zuschreibungen („ultralinks“ und „linksradikal“) entbehren der Tatsachenbasis. Sie beruhen auf einer punktuellen und unvollständigen Auswahl einzelner Themen und Thesen, zu denen einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, um ein Zerrbild zu zeichnen.
Quell: https://www.redeker.de/de/presse/zur-berichterstattung-medien-ueber-bundesverfassungsrichter-
Ein an sich lesenswerter Artikel – wäre da nicht wieder Ihr zwanghafter Rückgriff auf die eigene Leidensgeschichte. Sie schreiben: „Ohne die Debatte mit meinen Erlebnissen in der ‚Tango-Bonsaiwelt‘ vergleichen zu wollen…“ – und tun dann exakt das. Was denn nun? Entweder Sie lassen den Vergleich oder Sie stehen dazu. So wirkt es, als wollten Sie auf Kosten einer ernsthaften Debatte wieder ein bisschen Eigenmitleid unterbringen.
AntwortenLöschenUnd der Vergleich hinkt ohnehin gewaltig: Bei Ihnen werden keine „Skandale“ gesucht, sondern regelmäßig handfeste Fehler aufgezeigt – das ist ein Unterschied, den Sie geflissentlich übergehen. Wer öffentlich schreibt, muss mit Kritik leben – besonders, wenn diese berechtigt ist.
Wenn überhaupt, dann ähneln Sie nicht der attackierten Juristin, sondern eher dem erwähnten „Plagiatsjäger“: selbsternannter Aufklärer, moralisch empört, aber nicht immer sauber in der Methodik.
Kurzum: Weniger Tango, mehr Klarheit täte Ihren Texten gut
Mit freundlichen Grüßen
Horst Soltau
Lieber Herr Soltau,
Löschenich finde, meinem Artikel mangelt es nicht an Klarheit – im Gegenteil: Ich habe sehr eindeutig Stellung bezogen.
Dass ich hier meine persönlichen Erfahrungen habe einfließen lassen, macht meinen Text unterscheidbar von vielen Presseartikeln. Im Gegensatz zu diesen ist mein Blog sehr individuell – das kann man gut finden oder auch nicht.
Gut: Ich hätte „gleichsetzen“ statt „vergleichen“ schreiben sollen. Ich glaube aber, wer sich um den Sinngehalt bemüht, wird mich richtig verstehen.
Ich lebe sehr gerne mit Kritik – und wenn jemand „handfeste Fehler“ findet, bin ich für Korrekturen dankbar – aber nicht als blumige Behauptungen, sondern bitte mit genauem Zitat und Quelle! Ansonsten buche ich das unter „Kommentar-Folklore“ ab.
Wer mir unsaubere Methodik vorwirft, sollte sich zunächst selber um eine solche bemühen.
Schade, dass es sich nun wieder um mich dreht! Eigentlich wollte ich die angegriffene Juristin in den Mittelpunkt stellen. Aber die scheint vielen völlig egal zu sein.
Danke und beste Grüße
Gerhard Riedl
Lieber Herr Riedl,
Löschenes ist bemerkenswert, wie konsequent Sie es schaffen, selbst in einem Artikel über eine Verfassungsrichterin den Fokus auf sich zu lenken – und das gleichzeitig zu bestreiten.
Sie „wollten die Juristin in den Mittelpunkt stellen“? Interessant. Denn in Wahrheit ist Ihr Text ein Lehrstück darüber, wie man eine ernsthafte politische Debatte als Bühne für persönliche Kränkungen nutzt.
Der Trick ist bekannt: Erst den Vergleich mit den eigenen Erlebnissen rhetorisch ablehnen – um ihn dann genüsslich auszubreiten. So bleibt der moralische Anspruch gewahrt, während man sich doch wieder in der Hauptrolle inszenieren kann.
Dass Sie Kritik an Ihrem Schreibstil reflexhaft als „Kommentar-Folklore“ abtun, passt ins Bild. Kritik soll bitte sachlich, belegt, zitiert – und vor allem bequem ignorierbar sein.
Kurz: Ihr Blog ist individuell, keine Frage – aber nicht auf die Art, wie Sie es gern hätten. Sondern eher als Beispiel dafür, wie persönliche Empfindlichkeit zur publizistischen Masche wird.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Soltau
Lieber Herr Soltau,
Löschenich fürchte, es ist genau umgekehrt: Über die angegriffene Juristin sagen Sie kaum etwas – stattdessen versuchen Sie, den altbekannten Hahnenkampf mit dem Blogger zu zelebrieren.
Gut 90 Prozent meines Artikels beziehen sich auf die Kandidatin. Das übersehen Sie – klar, Frauen spielen nicht nur im Tango für gewisse Naturen keine Rolle. Ihre Haltung zu dieser Affäre verschweigen Sie.
Und ja – Kritik sollte sachlich, belegt und zitiert sein. Sonst ignoriere ich sie.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Lieber Herr Riedl,
AntwortenLöschenwie Ihnen eigentlich nicht entgangen sein müsste: Ich kritisierte, dass es Ihnen garnicht um die Juristin gegangen sein kann, denn die von Ihnen geschilderte Story war bereits in der Öffentlichkeit hinreichend bekannt gemacht worden. Ich befürchte, dass Sie diese Geschicht nur als Vorwand herangezogen haben, um einen Vergleich mit Ihrer Leidensgeschicht zu schreiben. Außerdem habe ich im ersten Kommentar ja bereits Ihren Artikel gelobt und somit meine Zustimmung mitgeteilt, wenn da nicht dieser scheinheilig wirkende Hinweis auf Ihre Blog-Schmähung aufgetaucht wäre; was Ihr Motiv, die Juristin in Schutz zu nehmen, wieder sehr fragwürdig erscheinen ließ. Das war eine sachliche Kritik an Ihrem Artikel, denn man liest Ihre Beiträge auch zwischen den Zeilen. Denn man fragt sich auch : Was möchte uns der Autor eigentlich mitteilen? Seine eigene Geschichte oder die der Juristin? Auch wenn 90% Ihres Artikels über diese Frau handelten, können 10% auch viel darüber aussagen, was ein Autor eigentlich bezweckt, denn die Buchstabenanzahl sagt nicht viel aus. Denn Sie müssten als erfahrener Autor doch eigentlich wissen, dass nur ein paar unglückliche Formulierungen einen ganzen Artiel ruinieren können.
Wenn Sie also meine kritischen Worte nicht konstruktiv umsetzen wollen, sozusagen als Hinweis für zukünftige Artikel, solche kleinen Eigenbezüge mal stecken zu lassen, um mehr Glaubwürdigkeit zu erlangen, dann halte ich es für sehr fragwürdig, dass Sie wirklich so dankbar für Korrekturen sind, wie Sie in Ihrem vorherigen Kommentar ja vorgeben.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Soltau
Lieber Herr Soltau,
Löschensehen Sie, jetzt nähern wir uns einem wichtigen Punkt: Ich betreibe weder eine Tageszeitung noch ein Nachrichtenmagazin, sondern ein sehr persönliches Blog. Wenn ich zu der Richterinnen-Affäre nur das beizutragen hätte, was man in den Medien liest, hätte ich den Artikel nicht geschrieben.
Frauke Brosius-Gersdorf benötigt mich kein bisschen, um sie in Schutz zu nehmen. Das können andere viel wirksamer. Aber ich sehe hier Mechanismen, die ich auch persönlich kenne. Deshalb der Artikel.
Was Sie zwischen den Zeilen finden, bleibt Ihnen überlassen. Bei vielen Kommentaren wäre ich schon froh, wenn man die Zeilen gelesen hätte.
Was meine Artikel ruiniert, teilen mir viele Leserinnen und Leser nun seit über 11 Jahren mit. Hätte ich mich an all das gehalten, gäbe es mein Blog schon lange nicht mehr.
Insofern bin ich dankbar für die Korrektur sachlicher Fehler. Der Rest ist freibleibend.
Und so lange es Leute gibt, die ihre Freizeit damit verbringen, mich mit Kommentaren einzudecken, muss an meiner Schreibe doch etwas Interessantes sein!
Mit bestem Dank
Gerhard Riedl