Mit klingender Münze


Auf das Video wurde ich – wieder einmal – durch die Facebookseite von Thomas Kröter aus Berlin aufmerksam. Leider kann ich es nicht direkt einstellen, aber für Mitglieder dieses Netzwerks hier der Link:


Für alle anderen: In dem 25 Sekunden-Filmchen sieht man zunächst den Schwenk über eine Freiluftmilonga, auf der sich Paare in der heute üblichen reduzierten Weise zu einer knisternden Altversion des schönen Tangos „Cristal“ bewegen. Offenbar nach einer Tanzpartnerin suchend kommt ein älterer Tanguero ins Bild und landet (vorne links an der Kamera) bei einem sitzenden Tänzerinnen-Duo, welches in ein Gespräch vertieft ist. Er baut sich vor den Damen auf und streckt die Hand nach einer von ihnen aus. Als diese das bemerkt, kramt sie eine Münze aus der Tasche und drückt sie dem entgeisterten Herrn in die Pfote. Ende.

Der italienische Kommentar erläutert für alle, die es nicht so schnell kapieren sollten:

„Wenn die Frau in einem Gespräch beschäftigt ist und er kommt, der Mann, der ihr ‚die Hand‘ überreicht.
Frauen! 20 Cent immer bereit in der Handtasche!“

Mein lieber Freund Thomas „Waldorf“ Kröter stellt das Video mit der Bemerkung vor:

„Es ist tatsächlich möglich, mit Humor für die Codigos zu werben...“

Na gut – ob es sich bei der (natürlich gestellten) Handlung nun um Humor, Satire oder Sarkasmus handelt: Ist ja okay, und wie käme gerade ich dazu, dies zu kritisieren? Leute, welche zutiefst beseelt davon sind, dass der Tango nicht nur Regeln, sondern sogar speziell diese braucht, werden sich die Schenkel wundklopfen: Recht geschieht dem bösen Cabeceo-Verweigerer, wenn er in der beschriebenen, schon ziemlich drastischen Weise von einer Frau düpiert wird!

Mir war nur nicht klar, wie Thomas Kröter zur Ansicht gelangen konnte, man habe hier für solche Códigos geworben. Eher ist es doch eine Abschreckung, welche zeigt, was Männern (angeblich) im Tango passieren kann, wenn sie sich nicht an Regeln halten, von denen eine größere Zahl von Betonköpfen meint, sie seien nicht nur sinnvoll, sondern geradezu zwingend!

Ähnlich schien mein Tangofreund Peter Ripota zu denken, der alsbald der Kröterschen Kommentierung einen überzog:
    
„Es ist ja auch wirklich unverschämt, zu einer Tanzveranstaltung zu gehen, im Glauben, die Leute dort wollen tanzen, und dann eine Dame zu fragen, ob sie tanzen will! Grenzt irgendwie an sexuelle Belästigung; man sollte den #metoo-Beschwerdedienst einschalten. Gut, dass ich mich nie auf solche Kaspertheater verirre!“


Da dies auch ungefähr meine Gedanken dazu umschrieb, teilte ich das Video auf meiner Facebook-Seite und fügte die obigen Bemerkungen bei. Zusätzlich schrieb ich:

„Mehr ist zu dem Schmarrn nicht zu sagen. Schad, dass es das Video nicht auf YouTube gibt - ich hätte es zu gern auf meinem Blog besprochen!“

Dies nun wiederum veranlasste Tangofreund Kröter aus der Bundeshauptstadt von Humor und Tanzverweigerung zur Anmerkung:

„Die Kommentare von Peter Ripota & Gerhard Riedl (…) wiederum zeigen, dass sich auch humorlos gegen die Codigos wettern lässt.“

Das Fehlverhalten des Herrn sieht er vor allem darin: „Gespräche unterbrechen und andern Menschen mit seiner Pfote direkt vorm Gesicht rumfummeln – nach meiner kleinbürgerlichen Erziehung hab ich das schon wenig fein gefunden, ehe ich überhaupt was vom Tango gehört hatte.“ Zudem habe er keinen Diener gemacht.

Meine Antwort:

„Oh, jetzt werden wir filigran! Ich hab‘s nochmal in Zeitlupe studiert: Die Köpfe der Damen sind schon noch ein Stück von der Hand entfernt. Sie sitzen halt, während der Mann steht.
Und nun könnten wir glatt noch fragen, wie höflich es ist, sich auf einer Milonga in Gespräche zu vertiefen und die tänzerische Umwelt zu ignorieren. Und wie noch höflicher es ist, auf eine eventuelle Ungeschicklichkeit mit ‚gleicher Münze‘ zu reagieren.
Aber weil man hier ja so viel Spaß versteht: Bei uns in der Holledau sind die Frauen froh, wenn sie aufgefordert werden, anstatt ersatzweise Gespräche führen zu müssen. Und solang der Bursch das Deandl nicht am Arm auf die Tanzfläche zieht, lautet die übliche Antwort: ‚Ja freili, pack ma’s!‘ Bei einer Abfuhr wie im Video dagegen wäre die landestypische Reaktion: ‚Ja nachad hoit ned, blede Goaß!‘“

Ich weiß natürlich nicht, wie mein bajuwarischer Humor im Preißnland ankommen wird – aber das bayerische Idiom hat den Vorzug, Dinge unverblümt und direkt anzusprechen und bei Konfrontationen in gleicher Münze herauszugeben.

Thomas Kröter berichtete jedenfalls von seiner Unlust an einer weiteren Debatte…

Mir liegt es fern, hier auf beleidigte Leberwurst zu machen: Nein, wer meint, Humor zu haben respektive eine Satire produzieren zu sollen, darf doch gerne! Mach ich ja auch: Vielleicht drehe ich mal ein Video mit einer ähnlichen Handlung – nur dass der Herr nach der Tanzablehnung der Dame einen Zehneuroschein hinters Ohr (oder an noch schlimmere Stellen) steckt. Wird das ein Spaß – wie sich da alle in der Tangoszene amüsieren werden! Und wie erst ein Macho aus den „goldigen Tangozeiten“ reagiert hätte, wenn er mit derart „klingender Münze“ bedient worden wäre? Gleich das Messer gezogen oder der Tante nur ein paar aufgestrichen?

Im Ernst: Die Abfuhr, die der arme Mann da hinnehmen muss, ist nicht von Pappe. Ich bezweifle, dass sie werbend auf Menschen wirkt, die sich überlegen, ob sie mit dem Tango argentino anfangen sollen. Die Angst, in solch peinliche Situationen zu geraten, würde dies möglicherweise verhindern. Worin liegt dann die „Werbung“?

Was meine werten Gegner mit Sicherheit überlesen werden: Mir geht es gar nicht um die Ablehnung des Cabeceo. Wer die Blinzelei für sinnvoll oder spannend hält, soll’s halt tun (ebenso, wie ich es meist lasse). Die soziale Qualität einer Szene bemisst sich nicht hieran, sondern vielmehr an der Frage, wie man mit abweichenden Verhaltensweisen oder Ungeschicklichkeiten Einzelner umgeht: Verständnisvoll übersehen oder gleich draufschlagen? Verschiedenheit respektieren oder Gleichschaltung propagieren, ja erzwingen?

Auf den Milongas, die ich besuche, spielen solche Rituale nur eine sehr untergeordnete Rolle (aber das mag an meiner Auswahl liegen). Jedenfalls trägt die dort geübte Toleranz sehr zu einer entspannten, freundlichen Atmosphäre bei. Selten verschlägt es mich einmal in andere Tangowelten. Dort läuft alles nach den heiligen Regeln ab – in einem Klima, das mir ziemlich angstbesetzt erscheint.

In meinem vorletzten Artikel habe ich aus einer Diskussion zitiert, in der es um die „erlaubte“ Musikauswahl geht. Darf man auch einmal Ungewohntes oder gar Schräges auflegen? Ein DJ gab eine Antwort, bei der es mich fröstelte: Ja, man dürfe schon einmal eine außergewöhnliche Runde spielen, wenn sie in „sichere Tandas“ eingebettet sei…

Als ich bei YouTube nach einem Video für meinen Artikel suchte, machte ich eine erstaunliche Entdeckung: Es gibt ganze drei Beispiele, wo sich ein Experte zur „Etikette“ auf den üblichen Tanzveranstaltungen äußert. Sucht man nach „Milonga Códigos“, „Cabeceo Tango“ oder Ähnlichem, findet man Dutzende Angebote. Ich schließe daraus: In der Tanzszene insgesamt ist das Auffordern kein strittiges Thema – mit etwas Höflichkeit und Lockerheit bringt das offenbar fast jeder hin. Die künstlichen Regularien im Tango muss man dagegen wohl wieder und wieder erklären.

Ich wäre jedenfalls dafür, die Musik anstatt der Münze erklingen zu lassen!

Hören wir also, was ein „normaler“ Tanzlehrer (aus unserer ländlichen Gegend) zur Art der Tanzeinladung sagt (ab 2:44):

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