Stets zu unserer vollsten Zufriedenheit
„War das jetzt der
falsche Fuß?“
„Du hast nur zwei,
such‘ dir einen aus – nur wenn du einen dritten hättest, wäre der falsch!“
Durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
wurde ich diese Woche daran erinnert, dass der obige standardisierte Wortlaut
in Arbeitszeugnissen sozusagen die Note Eins bedeutet. (Die sprachliche
Monstrosität des „Deppen-Superlativs“ lassen wir einmal beiseite – „voll“ ist
halt bis zum Rand, mehr geht nicht.)
Variiert begegnete mir diese Formulierung
kürzlich (wieder einmal) beim Tango. Ich forderte eine mir unbekannte, noch
wenig routinierte Tänzerin auf. Dabei erlebte ich ein mir leider nur allzu
bekanntes Reaktionsmuster: Statt sich mit mir in den Flow der Musik zu begeben, beobachtete ich ständige Versuche, kopfgesteuert meine „Führung“ zu entschlüsseln –
aha, Signal zum Rückwärtsocho – gefolgt von einer möglichst zackigen und
angestrengten Ausführung in deutlich überdrehter Weise nebst Aufbäumen nach
oben. Noch schlimmer: Mein Bewegungsimpuls nicht identifizierbar – hektische
Panik statt ruhigen Abwartens, Zusammenbruch der Achse inklusive. Das Ganze
natürlich verbunden mit Anklammern am Partner statt zarter Umarmung.
Auf ihren fragenden Blick nach dem ersten
Tanz schlucke ich die Bemerkung hinunter: „Mädchen,
ich will nicht mit dir raufen, sondern tanzen!“ und sage stattdessen: „Alles gut – du brauchst dich aber gar nicht
so anzustrengen, bleib locker und übereile nichts!“ Ihre Antwort war mir
nicht neu: „Ich will ja nur, dass ich
alles richtig mache und du zufrieden bist.“ Etwa zehn Sekunden nach
Einsetzen der nächsten Musik hakte sie dann nach: „Ist es jetzt besser?“ „Lass uns halt noch ein bisschen Zeit“ war
alles, was mir dazu einfiel. Tatsächlich verliefen die restlichen Tänze etwas
weniger verkrampft, die Angst vor „Fehlern“ war allerdings weiterhin deutlich
spürbar.
Ist es die vornehmste Pflicht der Tanguera,
ihren Tänzer „zufriedenzustellen“? Beim Verlassen der Milonga schilderte ich
meiner Begleiterin die Episode mit der Bemerkung: „Ist doch irre, oder?“ Ihre Reaktion gab mir auf dem gesamten
Heimweg zu denken: „Du solltest mal drei
Wochen als Frau leben, dann würdest du verstehen, wie schwer es für uns ist,
aus diesem Reaktionsmuster auszubrechen.“ O weia, ist tatsächlich das
„Funktionieren Müssen“ eine Basis der weiblichen Existenz? Nun gut, auch wir
Männer leiden an erblichen Defiziten wie dem „Hahnenkampf-Gen“ (merke ich immer
an den feindseligen Reaktionen auf mein Tangobuch – Frauen sind da nur spärlich
vertreten…). Beide Geschlechter haben ihre offenen Baustellen.
Dennoch fürchte ich, dass der Druck auf die
Tänzerinnen durch den hierzulande üblichen, weitgehend grauslichen
Tanzunterricht gefördert wird. Die Bewegung zur Musik wird allzu oft auf eine
Folge von „Figuren“ reduziert, welche die Frauen stets durch die entsprechende
„Führung“ des Mannes zu erkennen und sodann exakt umzusetzen haben. Dieser
gefährliche Blödsinn wird immer weniger hinterfragt – es lebe die Wiedergeburt
des Machismo, zurück zu den Wurzeln… „Das
habe ich aber nicht geführt“ ist eine durchaus übliche Kritik, die sich
weibliche Wesen Jahrzehnte nach den Anfangserfolgen der Emanzipationsbewegung
allen Ernstes noch anhören müssen. Die geniale Antwort hierauf hat mein
Tangofreund Peter Ripota einmal so formuliert: „Das habe ich aber getanzt!“ Erst gestern hörte ich von einer
Bekannten die Lobpreisung eines argentinischen Tangolehrers, welcher sofort das
Tanzen unterbrechen würde, sollte einer Partnerin etwas „nicht Geführtes“
einfallen. Mein Kommentar hierzu: „Na,
soll er doch – Gerhard Riedl jedenfalls würde weitermachen!“
Wie immun ich inzwischen gegen Schulungen
dieser Art bin, fällt mir immer wieder auf, wenn von weiblicher Seite die
verunsicherte Frage kommt: „War das jetzt
richtig?“ oder „Was hätte ich da
gerade machen sollen?“ Abgesehen davon, dass ich mit den Begriffen
„richtig“ oder „falsch“ beim Tango kaum etwas anfangen kann: Tanzen ist für
mich eine Sache des Augenblicks – woher soll ich einige Takte später noch
wissen, was genau wir gerade getanzt haben? Schlimmer noch: Es würde mich
komplett überfordern, ständig zu planen, was meine Partnerin zu tun hat – mir
reicht es vollkommen, mich auf die Musik und meine eigenen Bewegungen zu
konzentrieren sowie zu spüren, wie die Tänzerin sich fühlt. Welchen Fuß sie
jeweils belastet, kriege ich mit, falls ich es brauche – aber was sie im
Einzelnen macht, ist ihre Sache. Dazu kommt, dass beim Tango die Füße meist
„außen herum“ gehen – bis auf Inside-Positionen im Parallelsystem ist die
Kompatibilität der Schritte ein eher geringes Problem.
Es scheint über den Horizont der deutschen
Tangopopulation (insbesondere von deren Lehrpersonal) zu gehen, dass der
Paartanz einen Dialog zweier
gleichberechtigter Personen darstellt. Wenn ich einen Bewegungsimpuls gebe
oder einen Freiraum hierzu eröffne, ist das eine (in Körpersprache formulierte)
Frage, auf die mir die Tänzerin antwortet. Darauf muss ich eingehen und nicht
etwa stur weiterreden! Oft genug konnte ich bei einer Anfängerin die
Nervosität schon durch meine Bemerkung senken: „Mach, was du willst, ich tanze das dann einfach mit!“ Mein Fokus
beim „Führen“ liegt also nicht auf dem, was meine Partnerin machen soll, sondern auf ihren tatsächlichen Aktionen, die ich sanft
begleite; dabei kann ich ja versuchen, sie noch mehr „in die Spur“ (und
natürlich in die Musik) zu bringen.
Wie andere Zwiegespräche hängt das Tanzen
davon ab, wie gut man die Grammatik (sprich: Technik) beherrscht und welcher
Wortschatz (also choreografische Elemente) zur Verfügung steht. Den Klang, die
Modulation der Sätze bestimmt das musikalische Empfinden. Man kann einander
aber auch in sprachlich nicht korrekten und einfachen Sätzen sowie zu simpler Beschallung (heutzutage der Normalfall) viel Schönes mitteilen! Dies ist jedenfalls immer noch besser als das,
was ich landauf, landab auf dem Parkett sehe: reine Monologe – der Mann führt, die Frau folgt. Übrigens setzt ein
solches Verfahren auch die Herren der Schöpfung gewaltig unter Stress: Sie
müssen ihr Gegenüber ja unablässig „zutexten“ – wahrlich keine männliche
Grundkompetenz… (obwohl selbsternannte „Tangopädagogen“ dies gerne auf dem Parkett in
Worten versuchen).
In unseren Breitengraden (und die liegen ja
durch das immense Latino-Lehrpersonal südlicher als man glaubt) scheint mir der
Tangounterricht von einer inversen Relevanz geprägt, will sagen: Je unwichtiger eine Fähigkeit für das
Tanzen ist, desto heftiger wird sie trainiert. Auf Platz eins der „Charts“
stehen immer noch Schritte und Figuren, dann gerne auch rhythmische Kapriolen,
neuerdings immer öfter „Tanzen auf engsten Raum“ (für mich vergleichbar mit
Piet Klockes „Nichtschwimmer in vier Wochen“).
Oft genug bin ich auf Milongas zu Gast, bei
denen vorher unterrichtet wurde. Was ich dann anschließend von den
Schülerpaaren erlebe, treibt mich zu Fragen wie:
Hat denen schon mal einer gesagt, sie sollten miteinander tanzen statt voreinander her?
Hat man den Männern schon jemals davon abgeraten, ständig optisch die Zahl der Füße der Partnerin zu überprüfen? (Info: Es sind konstant zwei, alles andere wäre rettungstechnisch ein Notfall!)
Hat irgendwer den Frauen schon mal den Unterschied zwischen einer Umarmung und Festklammern erklärt?
Könnte ein Tangolehrer sich wenigstens einmal zu der Botschaft hinreißen lassen, dass die Bewegungsimpulse aus der Körpermitte kommen und nicht von den nach vorne stelzenden Beinen?
Hat man gewissen Kerlen schon einmal geraten, nur dann zu tanzen, wenn man die Nähe von Frauen angenehm findet?
Es ist gespenstischer als in „Des Kaisers neue Kleider“: Alle sind nackt, und keiner sagt’s ihnen. Leider steht mir meist führerscheinhalber nicht die ausreichende Alkoholmenge zur Verfügung, um das Schauspiel zu meiner „zufriedensten Vollheit“ zu ertragen…
Hat denen schon mal einer gesagt, sie sollten miteinander tanzen statt voreinander her?
Hat man den Männern schon jemals davon abgeraten, ständig optisch die Zahl der Füße der Partnerin zu überprüfen? (Info: Es sind konstant zwei, alles andere wäre rettungstechnisch ein Notfall!)
Hat irgendwer den Frauen schon mal den Unterschied zwischen einer Umarmung und Festklammern erklärt?
Könnte ein Tangolehrer sich wenigstens einmal zu der Botschaft hinreißen lassen, dass die Bewegungsimpulse aus der Körpermitte kommen und nicht von den nach vorne stelzenden Beinen?
Hat man gewissen Kerlen schon einmal geraten, nur dann zu tanzen, wenn man die Nähe von Frauen angenehm findet?
Es ist gespenstischer als in „Des Kaisers neue Kleider“: Alle sind nackt, und keiner sagt’s ihnen. Leider steht mir meist führerscheinhalber nicht die ausreichende Alkoholmenge zur Verfügung, um das Schauspiel zu meiner „zufriedensten Vollheit“ zu ertragen…
Also, liebe Anfängerin, mit der ich demnächst
vielleicht einmal tanze: Du bist nicht schuld, falls irgendwas nicht klappen
sollte – schließlich hab ich dich aufgefordert, nicht umgekehrt! Und ich werde
dir daher auch sicher kein Arbeitszeugnis darüber ausstellen, welchen Grad an
Zufriedenheit du bei mir bewirkt hast. Tango ist immer ein Wagnis, an dessen
Ge- oder Misslingen beide Seiten zu genau fünfzig Prozent beteiligt sind. Vor
allem aber: Er ist ein wunderbares Freizeitvergnügen. Arbeiten kannst du dann
wieder am nächsten Morgen.
P.S. Da von diversen Kritikern immer wieder
bis zur Besinnungslosigkeit behauptet wird, ich würde meine Meinungen als „unumstößliche Wahrheiten“ darstellen:
Die obigen Äußerungen zum Thema „Führen“ stellen
die privaten Ansichten des Verfassers dar. Eine Haftung bei deren Befolgung
wird ausdrücklich ausgeschlossen. Sollten Sie zu anderen Standpunkten gelangen,
bitte sehr: Es ist Ihr Tango, nicht meiner. Allerdings bitte ich dann im
Misserfolgsfall vom Ausweinen an meiner Brust Abstand zu nehmen.Tanzkarte für Tangueras:
Ausdrucken, ausschneiden, in den Ausschnitt stecken und bei Bedarf blank ziehen! (ggf. spanische Übersetzung einholen und auf der Rückseite notieren)
Wie wahr! (Muss es auch sein, wenn ich zitiert werde.) Für den Praktiker: Wenn ich einer solchen Dame begegne, und davon gibt es leider viel zu viele, und sie offen für Vorschläge ist, sage ich ihr folgendes:
AntwortenLöschenWir schließen einen Pakt. Wenn ich gehe, gehst du auch. Wenn ich stehen bleibe, bleibst du auch stehen. Das war alles. Ob ihr's glaubt oder nicht: Letzteres ist unheimlich schwierig und führt sofort zu der ängstlichen Frage: Was muss ich denn jetzt tun? Na, das gleiche wie ich: nichts. Und deswegen tanze ich mit Anfängerinnen oft bewusst nur die vielen Pausen des Tango, sehr zu deren Irritation. Ist trotzdem ein aussichtsloser Kampf gegen Tanzlehrer ohne Verantwortungsgefühl.
Lieber Peter,
Löschendas stimmt leider: Viele Tänzerinnen sind durch ihre Lehrer darauf "abgerichtet", auf jeden Taktschlag unbedingt etwas "tun" zu müsssen - Pausen kommen da nicht vor. Außerdem fallen sie natürlich auch sofort von einen Fuß auf den nächsten, weil ihnen keiner Achse und Balance als entscheidende Grundfertigkeit beim Tango beibringt. Stattdessen Schritte und Figuren bis zum Abwinken... (Wobei Tanzlehrer schon ein Verantwortungsgefühl haben - bezüglich der Sicherung ihres Einkommens.)
Beste Grüße
Gerhard
Grüß Gott, die Herren,
Löschendiesmal muss ich leider die Tangolehrer in Schutz nehmen, die sind nicht allein daran schuld, dass die Menschen heut' "einfach amal gar nix tun" nimmer aushalten - bei den Damen gewiss öfter auftauchend.
... und "keinen Schritt tanzen" und passiv sein sind zwei Paar Stiefel, in den versteckten Flecken auf der Landkarte, wo sich das hochgenussverteilende Gelichter sammelt ;)
Wie wahr: Nixtun kann äußerst produktiv sein! Gestern auf der Milonga bekam ich von einer Tänzerin das Kompliment: "Du bist wie eine Turnstange, an der ich mich völlig frei bewegen kann!" Ich füge noch hinzu: Nicht alle derartigen Sportgeräte hören die Musik...
LöschenUnd übrigens:
Löschen"Gelichter" is so a wunderschön's Wort vo' früher...