Süßer die Tangos nie klingen – meine Weihnachtswünsche an DJs
Liebes Christkind,
ich bin immer brav gewesen,
ehrlich! Bei meinen gut zweieinhalbtausend Milongabesuchen hab ich mich noch
nie beim DJ über die Musik beschwert, ihm meine Wunschtitel vorgesummt oder vom
Veranstalter das Eintrittsgeld zurückverlangt. Na gut, ich kann nicht wirklich
singen (oder summen), zudem erschien es mir oft zwecklos, mich zu beklagen –
aber vor allem hab’ ich versucht, mich als guter Gast zu benehmen, wie’s mir
Mutti einst beigebracht hat. Lediglich meine engste Umgebung bekam öfters meine
Verzweiflung mit, auf langweiliges Gedudel tanzen zu müssen, statt auf
g’scheide Musik…
Okay, ich hab’ ein Tangobuch
geschrieben, in dem einiges über Aufleger und Gastgeber vorkommt, was manchen
nicht recht sein könnt’, aber das muss ja keiner lesen (und kaufen schon gar
ned, wo so viel davon im Internet steht – und glei’ mit der Meinung, die man dazu
haben muss). Aber so ein Werk stört doch keine Milonga, wenn’s da ned so
langweilig ist, dass man lieber liest statt tanzt, oder?
Aber bitte, liebe DJs (oder
„TJs“, des is’ mir wurscht), könntet ihr im Verlauf des Abends öfters auf der
Tanzfläche rumgehen und euch einen Eindruck davon verschaffen, was wir Tänzer so hören? (Tipp: Da müsstet ihr sogar kabellose Kopfhörer abnehmen, sonst kriegt ihr des ned mit!) Ich bin bestimmt weder ein Koaxialkabel-Fetischist noch ein
Klirrfaktor-Neurotiker, aber das klingt manchmal schon ziemlich blechern oder
schrill, vielleicht nach „komprimierten Dateien“ – ich bin da kein Experte.
(Sieht man schon daran, dass ich meine Musik noch von CDs abspiel’.) Außerdem
ändert sich doch die Akustik, wenn mehr Leute da sind – zumal, falls
Highclass-Tangoladies wieder ihre Kreischanfälle kriegen (stehen meist in eurer
Nähe, solltet ihr doch merken). Aber eine Milonga ist doch kein Kreißsaal!
Und auch wenn ihr durch
irgendeine Erweckungserfahrung vom Neo-Saulus zum EdO-Paulus mutiert seid und
meint, jetzt nur noch konventionell auflegen zu müssen, werd’ ich das den ganzen
Abend aushalten, ohne mich daneben zu benehmen, versprochen! Aber versprecht’s
mir bitte auch was? Es gibt so schöne, wenig bekannte alte Titel – verschont’s
mich wenigstens gelegentlich mit „Muñeca
brava“ von Tanturi, Di Sarlis „Bahia Blanca“ und der allfälligen Vals-Tanda von de Angelis, gell? Und wenn ich mich einmal (wegen der
Kreislaufanregung) auf eine der seltenen Milonga-Runden freue, möcht’ ich –
bitte, bitte – nicht jedes Mal zu den bekannten Geronto-Versionen von „Silueta porteña“ plus „Mil-hon-ga-sen-ti-men-tal“
rumdackeln. Da ist’s sonst für mich von der Reha zur Rea nicht weit… Am
besten wär’s, ihr tätet selber mal wieder auf andere Milongas gehen und hören,
dass dort sechzig Prozent der Musik mit eurer übereinstimmt!
Ach ja, und wenn euch
moderne Tangomusik nicht gefällt, dann dürft ihr gern die eine
Elektro-Alibi-Tanda nachts um halb zwölf streichen. Weil, wisst ihr, auch von
dieser Sparte sollt’ man was verstehen! Das würd’ dann dazu führen, dass man
nicht Tango nuevo, Neotango und gar keinen Tango miteinander verwechselt. Nur
so als Fortbildungsanregung: Piazzollas „Triunfal“
hat mit „Sin Rumbo“ von Otros Aires
wenig, und beides mit irgendwelchem Chillout-Gesäusel für natürliche
Geburtsbegleitung gar nix zu tun! Bei
Letzterem krieg ich dann das Augenflackern ganz ohne Cabeceo, aber vielleicht
passt es ja in euer Konzept, durch solche Stücke zu beweisen, dass neuere
Kompositionen wertlos sind?
Und no’ was: Lasst’s doch eure Prozentangaben der Musikrichtungen in der Einladung! Erstens stimmt’s hinterher so gut wie nie, zweitens braucht’s ihr für eure homöopathisch dosierte Kreativität ned no a weitere Einschränkung, und vor allem sagt’s mir nix. Oder hilft’s euch was, wenn ein Supermarkt in der Werbung verspricht: achtzig Prozent Gemüse, zwanzig Prozent Obst? Kommt doch drauf an, wie vergammelt die Zwiebeln oder Bananen schon sind, oder?
Und no’ was: Lasst’s doch eure Prozentangaben der Musikrichtungen in der Einladung! Erstens stimmt’s hinterher so gut wie nie, zweitens braucht’s ihr für eure homöopathisch dosierte Kreativität ned no a weitere Einschränkung, und vor allem sagt’s mir nix. Oder hilft’s euch was, wenn ein Supermarkt in der Werbung verspricht: achtzig Prozent Gemüse, zwanzig Prozent Obst? Kommt doch drauf an, wie vergammelt die Zwiebeln oder Bananen schon sind, oder?
Persönlich bräucht’ ich eigentlich
keine Cortinas, weil ich zwar wegen mei’m Alter nimmer so gut hör’, aber schon
noch mitbekomm’, dass spätestens nach vier D’Arienzo-Tangos ein anderes
Orchester kommen muss, und ich erst recht den Wechsel zu Valses oder Milongas check’
– aber bitte, wenn’s die Ideologie verlangt… Auf traditionellen Veranstaltungen
solltet ihr aber darauf schau’n, dass die Zwischenmusik noch langweiliger is’
als wie der Rest, weil’s mich sonst jedes Mal nervt wie die Sau, ned in den einzig
interessanten fünfzehn Sekunden pro Viertelstunde tanzen zu dürfen. Und wenn
zum Programm experimentelle Non-Tangos gehören, ist jede Cortina-Musik
verwirrend! In dem Fall besser das Pausenzeichen von Radio Luxemburg oder Edi
Stoibers Flughafenrede, da weiß man, wo man dran ist.
Liebe DJs, solltet’s ihr nun
(was ich nicht vermute) nach modernen Tango-Alternativen fragen, so wär’ es mir
fast scho’ peinlich, auf die Seiten 192-226 meines „noch größeren
Milonga-Führers“ (1. Auflage) hinzuweisen, wo ich kiloweise Musik angeboten hab’. Ich müsst’
auch jegliche Gewährleistung dafür ausschließen, da Sänger wie Ariel Ardit, Adriana Varela und
Gruppen vom Typ „Sexteto Milonguero“ oder „Beltango“ zwar gerade Weltkarrieren
hinlegen, allerdings auf dem Parkett eine mit Herzschrittmachern inkompatible
Unruhe erzeugen könnten – ganz zu schweigen von „Las Sombras“, die einen
Klassiker wie „Gallo ciego“ per
Saxofonführung zu einer Milonga ummodeln, was sicher ebenfalls gegen
irgendwelche Regeln verstößt. Und Musiker wie Luis und Lidia Borda, Daniel
Melingo, Susana Rinaldi oder Roberto Goyeneche (der is’ sogar scho’ tot) werdet’s
ihr eh nicht kennen, also lass’ ma’s lieber. Weil zu meiner Zeit hab'n wir no' g'sagt: „Toll, a neues Stück" und ned: „Hilfe, des Stück kenn' i gar ned!"
Ein berühmter schweizer
Musikexperte, der wo mit seiner 100 000 Franken-Anlage das hohe C noch viel
höher spielen kann als alle anderen TJs und sogar a bissel Tango tanzt, hat
sowieso geschrieben, meine Vorschläge seien eine „verquere Selektion“ – und der
muss es schließlich wissen, weil er alles weiß. Daher sind für ihn moderne
Tangointerpreten sowieso „inspirationslose Stümper“, ein „kulturelles Ärgernis“
und eine „milongale Lachnummer“. A echter Aficionado halt! Aber ihr wisst’s ja: In der Hölle gibt's
italienische Verwaltungsbeamte, englische Köche und schweizer Liebhaber…
Ich werd’ kurz vor
Weihnachten lieber in ein Konzert von Max Greger gehen. Der darf traditionelle
Weihnachtslieder in a’m Riesensaal nach Lust und mit Laune (und ohne Hackbrett
plus Zither) verswingen, wie er will. Aber vielleicht gibt’s ja im Weltweitnetz
doch no’ an Schittstorm von de Volksmusikant’n? Is mir aba aa wurscht!
Nachtrag
Grad eben (8.3.19) hat ein Münchner DJ auf der FB-Reklame-Seite „Tango München" g'schrieben:
„Na, spielt doch einfach abwechslungsreicher, es gibt mehr als genug aus den 50ern und 60ern und von heute und sogar aus dem Non-Bereich, was nicht das Rückgrat bildet, aber den Zucker und die Sahne eines Abends. Auf den meisten Milongas in München läuft die ersten 1,5 Stunden absolut Bekanntes, Berechenbares, nur Rhythmisches, auch am Anfang macht Pugliese Spaß, und das DJing macht auch mehr Spaß, wenn man die Komfortzone mal verlässt..."
Wenn ma jetz' no a paar Jahr wart'n, kumma vielleicht no mehra drauf...
Grad eben (8.3.19) hat ein Münchner DJ auf der FB-Reklame-Seite „Tango München" g'schrieben:
„Na, spielt doch einfach abwechslungsreicher, es gibt mehr als genug aus den 50ern und 60ern und von heute und sogar aus dem Non-Bereich, was nicht das Rückgrat bildet, aber den Zucker und die Sahne eines Abends. Auf den meisten Milongas in München läuft die ersten 1,5 Stunden absolut Bekanntes, Berechenbares, nur Rhythmisches, auch am Anfang macht Pugliese Spaß, und das DJing macht auch mehr Spaß, wenn man die Komfortzone mal verlässt..."
Wenn ma jetz' no a paar Jahr wart'n, kumma vielleicht no mehra drauf...
Jetz lass ma no an Wecker singa:
Konstantin Wecker singt mir aus der Seele:
AntwortenLöschen"San koane Geign da?
Koa Cello schluchzt, koa Bratschn woant.
Wo bleibt der Kinderchor,
wo bleibt denn die Musik?
Des soll die Liebe sein,
ganz ohne Feuerwerk -
wo san die Geign hin?
San koane Geign da?
Koa Alpenglühn, koa Wildbach rauscht.
Des soll as Leben sei?
Wo bleibt die Phantasie?
I brauch koan Alkohol,
i brauch koan Rock´n´Roll,
i brauch mein Kitsch, jawohl!"
JAWOLL!
Mei, wie schee!
LöschenUnd als Extra-Weihnachtswunsch von mir no "Sollozos" von Fresedo - des sollt als EdO-Kitsch doch sogar durch die Zensur gehen, oder?
Da singt der Wecker: www.youtube.com/watch?v=Y4TCCyhoJrM
Löschen"Und auch wenn ihr durch irgendeine Erweckungserfahrung vom Neo-Saulus zum EdO-Paulus mutiert seid und meint..." Was bitte ist ein Edo Paulus?
AntwortenLöschenAnsonsten - ein schöner Text!, Gruß Gerd Mayr
Vielen Dank für das Lob!
LöschenDas Wortspiel geht einerseits auf die Bekehrung des Paulus von Tarsus zurück (Apostelgeschichte 9,3-29), welcher vom Verfolger des Christentums (unter dem namen Saulus) zu dessen überzeugten Anhänger wurde.
Unter EdO (Época de Oro) versteht man das "Goldene Zeitalter" des Tangos (ca. 1935-55), auf dessen Musik traditionell eingestellte Tangoleute ausschließlich tanzen wollen.
Im Zuge des momentanen "Trends" gibt es etliche Veranstalter und DJs, welche früher eher modernen Tangos zugetan waren und nun plötzlich ihre Liebe zur alten Musik entdecken - aus welchen Gründen auch immer...
Auf diese zielte mein Spruch.
Ein herrlich, netter Wunschzettel ans Christkind!
AntwortenLöschenSehr gerne tanze auch ich auf Musik vom Typ "Las Sombras" u. "Sexteto Milonguero". Also, ruhig öfter mal "a neues Stück"!
Viele Grüße - Bettina
> Und no’ was: Lasst’s doch eure Prozentangaben der Musikrichtungen in der Einladung!
AntwortenLöschenBitte nicht! Diese Angaben sind der einzige Hinweis darauf, ob man den ganzen Abend lang mit verrauschtem Schellack-Geschrammel gegardelt wird, oder ob zumindest eine winzige Hoffnung besteht, dass zwischendrin auch mal was gespielt wird, was nicht mindestens 70 Jahre alt ist.
> Erstens stimmt’s hinterher so gut wie nie,
Stimmt, da haben viele DJs erhebliche Probleme mit der Prozentrechnung. Wenn mir 70/30 versprochen wird, müsste ungefähr jede dritte, spätestens jede vierte Tanda nicht-traditionell sein. In Wirklichkeit kann man meistens froh sein, wenn am ganzen Abend drei bis vier nicht-traditionelle Tandas gespielt werden.
> Persönlich bräucht’ ich eigentlich keine Cortinas, [...] aber bitte, wenn’s die Ideologie verlangt…
Es gibt ganz pragmatische, unideologische Gründe, die für Cortinas sprechen. Zum Beispiel, dass man sich als Paar problemlos wieder trennen kann bzw. (wenn man die traditionelle Etiquette befolgt) trennen muss. Wenn keine Cortinas gespielt werden, muss man als Mann selbständig entscheiden, wann man sich von einer Frau verabschieden darf, ohne dass man Gefahr läuft, unhöflich zu wirken.
PS. Das Kommentarfeld ist extrem klein. Müsste sich mit ein paar CSS Kenntnissen problemlos vergrößern lassen.
Vielen Dank für die Diskussionsbeiträge!
Löschen1. Mir würde als Hinweis "gemischte Musik" o.ä. reichen - am besten ist es natürlich, man kennt den DJ, dann weiß man eh, was kommt.
2. Stimmt, mit der Prozentrchnung haben viele ihre Probleme. Ich habe inzwischen aber gelernt, dass bereits ein Canaro nach 1945 oder ein Pugliese nach 1960 nicht mehr in den Koran, äh Kodex passt - da hören wir vielleicht manchmal "nicht-traditionelle" Musik und merken es gar nicht...
3. Eine nicht tolle Tänzerin loswerden zu können, ist tatsächlich der einzige Vorteil von Cortinas (siehe S. 60 im neuen "Milongaführer"). Aber andererseits hatte die heutige Männergeneration keinen Weltkrieg zu überstehen, da müsste doch ein Rest an Tapferkeit übrig sein, um sich gegebenenfalls nach drei Tänzen zu verdrücken!
P.S. Das Kommentarfeld ist aus pädagogischen Gründen so klein, da ich damit rechnen muss, dass auch Lehrer Beiträge schreiben (kleiner Scherz, nix für ungut...).