„Der andere Sonderling im Tango“: Peter Ripota
So hat ihn ein (inzwischen
nicht mehr ganz so bekannter) Tangoblogger einmal bezeichnet, und nachdem ich –
in dessen Sichtweise – der eine Sonderling bin, müssen Peter und ich doch etwas
gemeinsam haben. Typisch für diesen Internet-Kritiker: Wenn er schon mal recht
hat, weiß er gar nicht, wie sehr…
Meine früheste Erinnerung an
Peter Ripota ist untrennbar verbunden mit einem Tangonachmittag, den er in den
Jahren 2000 bis 2005 veranstaltete: Mitten im Münchner Stadtteil Schwabing
steht ein herrlich verstaubtes altes Herrenhaus, und dort gab es jeden zweiten
Sonntagnachmittag den „Tango in der Seidlvilla“. Irgendwie schaffte es der
geborene Österreicher, auf dieser Milonga den Charme eines Wiener Caféhauses zu
verbreiten. Insbesondere die letzte Tanda hat einen Ehrenplatz in meiner
„Tangovitrine“: Peter legte da meistens herrlich schmalzige deutsche Titel aus
den 30-er Jahren auf, und im Winter tanzte man dann in der Abenddämmerung, mit
Blick auf den verschneiten Garten, zu Klängen wie „Macht rotes Licht, wir
wollen Tango tanzen“ oder „Wenn vom Himmelszelt ein kleines Sternlein fällt“.
Ein Zauber, der bleibt!
Monika Fischer kenne ich
schon aus meiner Anfangszeit als Lehrer am Gymnasium, wo sie als
frischgebackene Referendarin für Biologie und Chemie auftauchte. Als ich eines
Tages aus Jux mein Goldenes Tanzsportabzeichen am Revers trug, identifizierte
sie dieses sofort und fragte mich mit leuchtenden Augen, ob ich wohl tanze.
Diese Betätigung hat Monika seit ihrer Kindheit fasziniert. Längere Zeit nahm
sie Ballettunterricht, trainierte Rollkunstlauf und hätte sich gerne mehr mit
den Standard- und Lateinamerikanischen Tänzen beschäftigt. Aber es fehlte wohl
der feste Tanzpartner. (Ach, wie typisch!)
Als meine Frau und ich vom
Turnierbetrieb zum Tango wechselten, erregte dies Monikas besonderes Interesse:
Begierig ließ sie sich von uns die erlernten Schritte zeigen, begleitete uns zu
etlichen Milongas und genoss es sehr, dass man dort als „alleinige Frau“
auffordern konnte. Als wir ihr dann zum Geburtstag einen Tangokurs schenkten,
war die Abhängigkeit von den Klängen des Rio de la Plata besiegelt. Es kam, was
offenbar kommen musste: Auf einem Tanzabend liefen sich Monika und Peter über
den Weg, der ein gemeinsamer werden sollte. Letztes Jahr war die Hochzeit,
natürlich inklusive einer rauschenden Milonga.
Ich muss gestehen: Der erste
nähere Eindruck, den Peter auf mich machte, war ein ziemlich exzentrischer –
irgendwie verbinde ich ihn bis heute mit weißem Anzug plus Hut sowie
gleichfarbigen Bonvivant-Schleichern, halt so ein altmodischer „Tangokavalier“!
Sein Faible ist die große Inszenierung, was man an seinen Auftritten mit der
Gruppe „Tango de Oro“ sieht. Das Mondäne bricht er aber meist mit seiner
Ironie, wenn er beispielsweise als Tangodetektiv im Programm „Kriminaltango“ ein Tanzpaar aus
dem Verkehr zieht, welches Piazzollas „Libertango“ mit Standardschritten
interpretiert (vor zehn Jahren eine geradezu prophetische Nummer…). Mit Monika
setzte er diese Bühnentradition in vielen Showauftritten fort.
Erstaunlicherweise kommen
Peter und ich immer wieder, unabhängig voneinander, auf identische Ideen. So
hörte ich von ihm Anfang 2010, dass er sein Buch „Tangosehnsucht“ herausbringen
werde – und ich konnte ihm mitteilen, dass demnächst mein „Milongaführer“ auf
den Markt komme. Dann vor kurzem die Neubearbeitung seiner „Metamorphosen der
Liebe“, zeitgleich bei mir der „noch größere Milongaführer“. Der Höhepunkt war
aber, dass wir beide im April 2007 unsere eigene Milonga aus der Taufe hoben,
und im Gegensatz zum „Tango an der Ilm“ in Pfaffenhofen existiert der
Freisinger „Tango de Neostalgia“ bis heute. Zum jährlichen Jubiläum inszeniert
Monika stets eine Aufführung, bei der ich als Tänzer oder Zauberkünstler öfters
mitwirken durfte.
Zugegeben, mit Glamour bis
Kitsch tragen die beiden für meinen Geschmack schon dick auf. So erinnere ich
mich an eine Show, wo Peter und ich eine lebensgroße Schaufensterpuppe per
Striptease zu einem mehrfachen Kleiderwechsel veranlassten, und ich
(einschließlich dem Publikum) auch ansonsten mit Laszivität nicht verschont
wurde. Dennoch ist dieser Stil meilenweit vom üblichen „Erotikgeturne“
entfernt, denn solche Paare meinen es ernst – Peter nicht. Der reine
Schabernack waren auch unsere Auftritte als Autorenduo, wo wir anhand unserer
Bücher eine nur mäßig einstudierte Diskussion über diverse Tangothemen boten.
Peter ist ein Mensch, bei
dem der erste Eindruck nicht reicht, und der zweite, dritte und die folgenden
ergeben ebenfalls kaum mehr Klarheit: studierter Mathematiker und Physiker,
hauptberuflich 23 Jahre Redakteur beim P.M.-Magazin, daneben aber Autor von
Büchern nicht nur über diese Wissenschaften, sondern unter anderem auch
Astrologie, Handlesen, Kartenlegen, Märchen – und natürlich Tango. Wie passt
das zusammen?
Peter
würde wahrscheinlich antworten: „Muss es doch gar nicht.“ Er ist ein
Dialektiker, der erst bei Widerspruch so richtig in die Gänge kommt, Mainstream
ist für ihn der Horror: Da wird schon mal Einsteins Relativitätstheorie oder
die Evolutionslehre in Frage gestellt – und erst recht im Tango! „Das Schlimmste beim Tango Argentino ist es,
so zu tanzen wie alle anderen“, so ein Zitat aus seinem Buch, und der
Standardtango ist für ihn „gut geeignet
als Anfeuerungsmusik in Schlachten“. Kompromisslos tritt er bei unserem
Tanz für Individualität und persönliche Freiheit ein – und empfiehlt denen, die
„alles in Schubladen stecken“ müssen,
den Wechsel zum Schuhplattler. Dass ihn genau solche Leute dann heftig
attackieren, freut ihn wohl besonders.
Dieser Linie folgen Peter und Monika auch bei ihrer
monatlichen Milonga. Es ist die einzige Tangoveranstaltung, bei der mir stets
mehr als die Hälfte der gespielten Titel völlig unbekannt ist. (Angeblich sitzt
Peter oft stundenlang vor dem Radio, um neue Musikbeispiele aufzunehmen – vom
Radio – da wälzt sich doch der moderne TJ mit Schnappatmung auf dem Teppich!)
Selbstredend ist nicht alles Tango, was da zu hören ist, und ich könnte Peter
oft mit der flachen Hand erschlagen, wenn er meine Wachheit ab Mitternacht mit
elegischen Klängen à la Wiener Südfriedhof auf eine harte Probe stellt. Tue ich
aber nicht, denn dann würde die letzte Milonga verschwinden, bei der man mich
noch verblüffen kann. Trotz seiner inzwischen 70 Jahre ist Peter Ripota der
jüngste und unkonventionellste DJ, den ich kenne.
An
die 25 Jahre ist er nun im Tango aktiv, was wenige von sich behaupten können –
und, wichtiger noch: Er hat nie seine individuelle Linie aufgegeben. Dies ist
gerade jetzt, wo die Szene immer mehr von Modeerscheinungen, angepassten
Rezepteanwendern und Wahrheitseignern bestimmt wird, nicht hoch genug
einzuschätzen. Auf ihren Milongas sorgt das Ehepaar Fischer-Ripota für eine
tolle Dekoration, kümmert sich aufopfernd um jeden einzelnen Besucher, steht
mit bewundernswerter Energie auch Durststrecken mit wenigen Gästen durch – und
das Angebot ist stets hausgemacht und nicht importiert, weder aus Buenos Aires
noch sonst woher.
Und
obwohl Peter in seiner bescheidenen Schüchternheit wohl meinen wird, mein
Beitrag sei eher ein Nachruf – im Gegenteil: Ich hoffe, dass die beiden mir und
anderen noch lange eine Oase ohne Geschrammel, Workshops, argentinische
Showpaare und Tanzschuhverkauf bieten werden!
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