Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 15



„Die Noten muss man nicht spielen, wie sie geschrieben sind. Und das ist die Sache! Ich kann das nicht erzählen, ich kann das nur spielen.“
(Luis Borda, Bayern 4, Sendung vom 18.11.07)

Nun, vielleicht erzählt es Ihnen Ihr Tangolehrer ja inzwischen sogar, oder versucht es wenigstens…

In der Urfassung meines Tangobuches habe ich 2010 noch geschrieben: „Sollte Ihnen mal ein Workshop Musikalisches Tanzen' angeboten werden – sofort zugreifen! (Aber berichten Sie mir hinterher, ob er diesen Namen verdiente...)"

Inzwischen mehren sich Angebote dieser Art: Erst neulich las ich von einem Festival,  auf dem der Tangolehrer Murat Erdemsel (auf dem Titelbild ein wenig bergpredigtmäßig fotogeshoppt) Angebote dieser Art unters Tangovolk bringt.
Besonders eindrucksvoll fand ich einen Workshop „Rhythmus! Wie man zur Musik von Biagi tanzt“. In 90 Minuten und für 25 Euro pro Nase wird ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Lerne, wie du die tückisch' synkopierte Musik tänzerisch interpretieren kannst.“ Selbstredend war die Veranstaltung ausverkauft...

Am Tag, an dem ich dies las, waren wir abends zu Gast auf einer Milonga mit wunderbar gemischter Musik. Bei einer Zigarettenpause ergab sich ein Gespräch mit der besten Tänzerin der dortigen Region – und wir kicherten uns gemeinsam einen ab ob dieses ambitionierten Projekts: „Wäre das nicht auch mal ein Workshop-Thema: ‚Tanzen zu Tangos in B-Moll?‘“ „Tja, und dann können sie zu Biagi tanzen – und tragischerweise wird keiner gespielt…“

Zweifellos lässt sich das Angebot ausweiten, da es ja mindestens vier „große Orchester“ der EdO gibt (Biagi ist da nicht vertreten) – Themen für Kursveranstaltungen ohne Ende…

Dies reicht dann bis zu kryptischen Offerten wie „Special Workshop Musikalische Interpretation: Motiv - Adagio – Variation“

Zu alledem frage ich mich schon einmal: Anderthalb Stunden – wie lange habt Ihr wirklich Zeit? Monate, Jahre?

Bei meiner Internet-Recherche bin ich auf ein einziges halbwegs realistisches Angebot zum Thema gekommen. Typischerweise ist es schon 6 Jahre alt, offenbar nicht mehr aktuell und stammt von einer Tangofusion-Website:

„Wir wollen den Aufbau und die Bedeutung von Musik für Tänzer/innen - die hörbaren Elemente von Musik - untersuchen. Das geht über den Tango und speziell über die sogenannte Epoca de Oro' hinaus. Die Grundbausteine von Musik, die für uns Tänzer/innen wichtig und hörbar sind, haben sich vom Barock bis heute zwar modifiziert und erweitert, vieles wurde jedoch unverändert beibehalten. Eben diese Grundbausteine wahrzunehmen und eine differenzierte Vorstellung von deren motorischer Umsetzung zu haben, führt zu vielfältigen Möglichkeiten von Bewegung. Deshalb geht es bei uns nicht um Orchester und deren Eigenarten, sondern um so grundlegende Dinge wie aktives Hören, kommunikatives Bewegen und kreatives Tanzen.“

Na eben. Und Tango – gerade der „traditionelle“ ist veredelte Schlagermusik, nicht mehr.
Die enthält halt ein paar Grundelemente, zu deren Erfassung und Umsetzung kein Musik- oder Tanzstudium (wohl aber jahrelange tänzerische Praxis) erforderlich ist. Man braucht ein gewisses choreografisches Repertoire zum Ausdruck musikalischer Elemente wie

·         Crescendo (es wird lauter)
·         Decrescendo oder Diminuendo (das Gegenteil)
·         Accelerando (es wird schneller)
·         Rallentando oder Ritardando (das Gegenteil)
·         Pausen
·         Zwischenschläge (Aufteilung in Achtel, Sechzehntel oder Schlimmeres)
·         Synkopen (Betonung eigentlich unbetonter Schläge)

Und solche dynamischen Variationen findet man in jeder Tangomusik – allerdings in der moderneren verstärkt, was ja auch die Legende von deren „Untanzbarkeit“ begründet.

Um nun etliche Leser von Überlegungen zum sofortigen Suizid abzubringen: Basis wäre schon mal die Vertrautheit mit dem Taktschema eines Tangos. Beim üblichen Vierachteltakt (wie auch beim Vierviertel) gilt: Betont werden stets die ungeraden Schläge. Und es beginnt – kaum überraschend – mit dem am stärksten akzentuierten Schlag: der Eins.

In der Achter-Phrasierung ergibt sich so ein Abfolge von 8 Teilen, wobei die Eins der am stärksten betonte Abschnitt ist, gefolgt von der Fünf – und dann den ungeraden Schlägen 3 und 7. Das wenigste Gewicht liegt folglich auf der 2, 4 und 6:

1-2-3-4-5-6-7-8

In meinem Tangobuch habe ich dies anhand des sehr bekannten Tangos „Uno“ (von Mariano Mores) dargestellt. Der Sänger beginnt hier mit dem Refrain: 

 

   1                 2                   3                  4                    5                    6       7       8
  Uno busca lleno de esperanzas el camino que los sueños prometieron a sus ansias


Diese Achter-Phrasierung zieht sich durch das gesamte Stück (und alle anderen, die ich kenne, auch). Hier der gesamte Refrain:

1   Uno busca lleno de esperanzas
               el camino que los sueños   5
               prometieron a sus ansias…   8
          1   Sabe que la lucha es cruel
               y es mucha, pero lucha y se desangra   5
               por la fe que lo empecina…   8
          1   Uno va arrastrándose entre espinas
               y en su afán de dar su amor,
          5   sufre y se destroza hasta entender    8
          2   que uno se ha quedao sin corazón...   8
          1   Precio de castigo que uno entrega
               por un beso que no llega
               o un amor que lo engañó…   8
          1  ¡Vacio ya de amar y de llorar
              tanta traición !...   8

Mein Tipp: Hier kommen Sie mal ganz ohne „festen Tanzpartner“ aus – holen Sie sich ein gutes Getränk, legen Sie ihre Lieblings-CD auf (muss nicht mal Tango sein – jede Unterhaltungsmusik ist so gegliedert) und schnippen Sie sich durch die 18 Titel.
Ein paar Stündchen Zeit – und zwar an etlichen Tagen – sollten Sie sich schon nehmen: Von nix kommt hier gar nix!

Eines kann ich Ihnen aber garantieren: Sie fallen gerade in der heutigen Tangopopulation mit Ihrer zur Musik passenden Tanzweise gigantisch auf! Sie müssen dann lediglich auf die Eins einen besonders akzentuierten Schritt legen (z.B. groß zur Seite oder nach vorn) oder auf diesen Schlag eine neue „Figur“ beginnen.

Dies ist übrigens der einzige Vorzug des berüchtigten „Tango-Grundschritts“, der Achterbasse: Sie ist auf diese Phrasierung zugeschnitten. Aber auch wenn Sie diese (hoffentlich) nicht gelernt haben, können Sie versuchen, Ihr choreografisches Repertoire zu „phrasieren“, also diesem Achter-Schema anzupassen. Insofern habe ich mich über den Kommentar eines Musikworkshop-Teilnehmers sehr amüsiert, dass dann „die gelernten Figuren nicht mehr passen". Tja, ein Lob auf die Tangolehrer, welchen diese musikalische Grundaufteilung offenbar unbekannt ist!

Eine herzliche Bitte: Zählen Sie zu Hause im Wohnzimmer, aber ja nicht beim Tanzen auf einer Milonga! Sonst ergeht es Ihnen wie dem berühmten Tausendfüßler, der ins Stolpern gerät, als er sich überlegt, mit welchem Bein er gerade auftritt. Mit der Zeit werden Sie auf dem Parkett zumindest die Eins finden (z.B. die Stelle, an der meist der Sänger einsetzt oder eine neue Strophe beginnt) – und von da aus „hangeln“ Sie sich mit der Zeit weiter bis zu einer möglichst vollständigen Phrasierung.

Weiter ginge es dann mit der Umsetzung der obigen musikalischen Grundelemente: Wie tanzt man ein Rallentando, Verdoppelungen oder Synkopen? Ein weiterer Tipp von mir: Leisten Sie sich zum Preis von 22,90 Euro (und damit weniger als für einen Murat-Erdemsel-Workshop) mein Tangobuch und lesen Sie die Kapitel zum musikalischen Tanzen (in der aktuellen Auflage S. 248-304).

Dann werden Sie mit der Zeit (und vielem Üben) einiges davon hinbekommen. Ein Trost: Wenn’s mal nicht klappt, tanzen Sie schlimmstenfalls so wie bisher – und da hat Sie es ja auch nicht gestört, oder?

Um aber zur Ausgangsfrage zurückzukommen:
„Wie tanzt man zur Musik von Biagi?“

Mein Vorschlag:
Schön!

Ich hab’s auch schon versucht (weil damals einer behauptet hat, ich könne es nicht):

Kommentare

  1. Lieber Herr Riedl,

    nach Konsumtion Ihres Videos zum Tangotanzen nach Biagi-Musik, möchte ich dem Kameramann eine

    Literaturempfehlung geben. Er möge doch bitte den 'supergroßen Milongaführer' zumindest

    auszugsweis lesen. Insbesondere die zahlreichen Ausführungen, nach denen Tango eben nicht

    zuvörderst mit den Füßen, sondern zunächst im Körper getanzt wird (wegen 'Dissoziation' und

    so...) Wenn er aufgrund der bloßen Lektüre noch Verständnisprobleme hat, kann er ja auch

    versuchen, mit dem Autor des Milongaführers Kontakt aufzunehmen. Ein gewisser Gerhard Riedl.

    Soll wohl ganz zugänglich sein, wenn man ihn kennt.

    Entzückte Grüße aus Freiburg
    Joachim Gutsche

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    1. Lieber Joachim Gutsche,

      inhaltlich haben Sie ja völlig recht: Tango wird – ausgehend von der Mitte – mit dem ganzen Körper getanzt. Auch wenn das hier nicht zu sehen ist, darf ich Ihnen versichern, dass wir es gemacht haben.

      Der Grund, wieso wir hier nur die unteren Regionen gezeigt haben, ist ganz einfach: Auf eine andere Tanzaufnahme (die wir ebenfalls auf YouTube veröffentlichten) ist im Internet eine derartige Häme niedergegangen, dass meine Tanzpartnerin diesmal nicht persönlich erkennbar in Erscheinung treten wollte. Ich hatte also die Wahl: Nur die Füße – oder gar nix.

      Der „Kameramann“ war übrigens eine Frau, nämlich die Illustratorin meiner Bücher. Insofern wird sie wohl keinen Nachhilfeunterricht in Sachen „Milongaführer“ benötigen.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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  2. Lieber Gerhard,

    der Run auf Kurse bzgl. „Musikalität“ zeigt doch das Bedürfnis der – meist fortgeschrittenen – Tänzer/innen – die erlernten Schritte und Figuren schön und passend in die Musik einzubinden. Und das ist absolut positiv zu sehen! Dieses Bedürfnis wurde also zumeist in den Tangokursen zuwenig befriedigt.

    Was mir als jemandem mit musikalischem Hintergrundwissen zu denken gibt sind folgende Aspekte:

    Bringen solche Kurse Tänzern (ich schreibe weiter männlich, gemeint sind aber auch Tänzerinnen) etwas, die sich nicht vorher ausreichend bereits mit den Basics der Tango-Musik auseinandergesetzt haben? Also nicht nur mit der Frage des Rhythmus, betonte und unbetonte Taktteile. Mir fällt nicht selten auf, dass sich Tänzer schwer tun, den Unterschied zwischen einer langsamen Milonga und einem flotteren Tango zu hören. Auch, ob ein Vals schwungvoll-heiter oder eher schwoofig ist, muss zuerst mal heraus gehört werden. Insofern denke ich, überfordern solche Kurse viele Teilnehmer zuallererst.

    Du hast schon versucht, die Grundzüge darzulegen. M.E. sehr schweres Terrain, v.a. wenn man versucht, dies theoretisch in einem Buch zu tun. Das kann nur ein anfängliches Hinführen sein. Es hat übrigens auch nicht unbedingt etwas mit grundsätzlicher Musikalität zu tun, also ob derjenige vielleicht ein Instrument erlernt hat oder nicht (bei manchen ist dies sogar eher hinderlich, weil der Kopf immer mehr denkt als nötig). Von Vorteil ist dies höchstens bei Tangos, die man nicht so oft hört, weil Musiker hier natürlich von Haus aus ein anderes Gefühl für den Verlauf des Stückes haben. Aber bei den Tangos, die man mittlerweile von den immergleichen Playlists landläufig so hört kann man sich m.M.n schon einen Überblick verschaffen. Überblick z.B. darüber, ob der folgende Tango nun Verzögerungen (ob man nun weiß, dass dies Rallentando heißt oder nicht) enthält oder Pausen und vor allem, an welcher Stelle ;-).

    Wie bei allem sind Interpretationen Geschmackssache. Ich persönlich finde Unterbrechungen und Stopps via Barrida, Sandwich & Co bei schwungvollen Valses nicht so passend. Trotzdem wird es oft getanzt. Beinschlenker in der Milonga ist auch so was. Manche Führende schlenkern einfach gerne – ob’s passt oder nicht.

    Apropos Interpretation: Das ist die nächste Frage, die sich stellt bzgl. so fortgeschrittener Kursangebote wie „Tanzen zu xy“. Es können doch alles nur Vorschläge von Interpretationen sein. Es gibt nicht DIE Art, Tango zu tanzen (auch wenn viele das gerne wollten!). Im günstigsten und schönsten Fall gibt es zwei Menschen, die für 3 Minuten gemeinsam etwas interpretieren, sich vielleicht sogar während des Tanzes gegenseitig inspirieren.

    Und klar: Wir haben alle zuerst die Schritte und Figuren gelernt, dann mühevoll diese irgendwie in einem Zusammenhang hintereinander geheftet ohne ständig nachdenken zu müssen, wie es jetzt weitergehen kann oder soll. Aber wenn man dann ein gewisses Stadium erreicht hat, dann sollte man einfach mal seinen Fokus nicht mehr auf noch mehr Figuren und Kombis richten, sondern darauf, diese schön zu vertanzen. Und jetzt sind wir wieder am Anfang: die Musik kommt zuerst.

    Und bevor mich jetzt alle hauen: Ich bewundere euch Männer/Führenden, die ihr versucht, das alles unter einen Hut zu bringen! Den Frauen gerecht werden, der Musik gerecht werden, schauen, wo’s langgeht auf’m Parkett ohne anzurempeln, gut riechen UND das Ganze noch mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen!

    Ja, an Basis-Kursen mangelt es leider. Vielleicht mangelt es aber auch einfach an der Erkenntnis, dass eben zuerst die Basis stimmen muss, bevor man darauf aufbauen kann. Das könnte vielleicht die kleine Tangoschule x in y. ebenso. Die Argumente sind natürlich schlagkräftiger, je berühmter der Name, welcher dahintersteckt….

    Liebe Grüße
    Sandra








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    1. Liebe Sandra,

      danke für Deine Anmerkungen – das meiste sehe ich ganz ähnlich.

      Natürlich kann man weder allein durch ein Buch noch einige Workshops musikalisch tanzen lernen. Eine schriftliche Darlegung hat aber den Vorteil, dass man sie schrittweise durcharbeiten und weitere Male studieren kann. Es stünde Tangolehrern ja auch frei, ihre Seminare in Schriftform herauszubringen – werden sie aber nicht tun, könnte man kopieren, ist also schlecht fürs Geschäft.

      Das heutige Elend beginnt schon damit, dass in Tangokursen die Musik (und zwar verschiedenartige!) nicht von Anfang an einbezogen wird. Stattdessen ellenlange Monologe, Vormachen von Schritten… Würde man Tangobewegungen und Musik von vornherein verknüpfen, käme das der Musikinterpretation sehr zugute. Aber nein, da wird trocken eingezählt – oder bestenfalls dudelt die Di Sarli-Endlosschleife…

      Und im zweiten Kurs muss es ja schon die Sacada sein – sonst rennen die Schüler zum anderen Lehrer, weil die dort „schon viel weiter“ sind.

      Natürlich gibt es nicht die eine, passende Interpretation – aber wie sollen die Lernenden einen individuellen Stil entwickeln, wenn man mit „Killervokabeln“ wie „richtig“ und „falsch“ arbeitet?

      Tänzerische Qualität entsteht in dem Maß, wie man sich auf den jeweiligen Partner einstellen kann – und das gilt (trotz Deiner sehr lieben Komplimente) für beide – vielleicht nicht in gleicher, aber doch entsprechender Weise. Aber solange man die Mär vom „Führen des Mannes“ verbreitet, kommt man nicht weiter.

      Je länger ich tanze, desto mehr wird mir klar: Bei einer Super-Tänzerin hat es ein Mann leicht – wenn er ihr nicht im Weg steht und halbwegs Musik und Raum im Auge(und Ohr) behält, kann nicht mehr viel schiefgehen. Und wenn dann noch die wechselseitige Chemie stimmt… aber das muss ich Dir ja nicht näher erklären!

      Nochmals herzlichen Dank und liebe Grüße
      Gerhard

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  3. Ein Schrittrepertoire kann man lernen. Aber Musikalität*? Ich glaube nicht!!!

    Man oder frau hat es, oder eben nicht: Es gibt Tangoanfänger, deren Repertoire noch sehr klein ist, die aber die Musik hören und auf sie tanzen. Und es gibt fortgeschrittene Tänzer, die hören bestenfalls den Takt, aber mehr auch nicht. Frauen der ersten Kategorie sind leicht zu führen, denn sie werden zur Hälfte schon durch die Musik geführt. Frauen der zweiten Kategorie sind anstrengend. Da hilft auch kein Workshop und schon gar kein Zählen. Zählen ist Kopf, Musikalität ist spüren, empfinden.

    Hilfreich für alle ist sicher, viel Tango zu hören. Ich schaue mir viel Videos von professionellen Tanzpaaren mit guter Musikalität an. Nicht, dass ich deren tänzerisches Repertoire hätte. Aber die Art, wie sie ein Musikstück in Bewegung übersetzen, ist lehrreich. Und interessant wird es, wenn man zu einem Stück mehrere tänzerische Interpretationen findet!

    @Sandra: Danke für Dein Kompliment an die Führenden im vorletzten Absatz Deines Kommentars!

    Noch eine sehr subjektive Anmerkung zu Biagi: Seine Valses und Milongas sind ok., aber bei den Tangos mache ich Pause oder hole mir was zu trinken oder gehe pinkeln. Ich kann dieses nervöse Gezupfe nicht ab (vermutlich war er ADHSler). Und kann gut verstehen, dass d'Arienzo (auch ein ADHSler) ihn rausgeschmissen hat. (Gleichwohl: Positive Entdeckung: "Ramona" Schön-schnulziger Tangovals von Biagi! https://open.spotify.com/track/3iXfxIUIMyBKj06kinznMR?si=z1oyuuIy)

    *Fußnote zu Musikalität: Tja, was ist das eigentlich? Auf Wikipedia findet man - nichts! Der Duden sagt: Empfindung, Verständnis, Begabung für Musik.

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    1. Klar spielt die Begabung bei dem Thema eine große Rolle – so wie beim Tanzen überhaupt oder in der Musik. Auch das Erlernen eines Schrittrepertoires bedeutet noch nicht, dass jemand gut tanzen kann.

      Nur ist Begabung keine Sache des Entweder-Oder, sondern halt eine quantitative Größe, ebenso wie der Lernaufwand. Aus der Summe ergeben sich die Fortschritte.

      Ich habe Menschen kennengelernt, bei denen ich anfangs die Aussicht, gut Tango zu tanzen, mit Null beziffert hätte. Aber sie blieben hartnäckig dabei und haben sich sehr positiv entwickelt. Natürlich gibt es auch das Gegenteil – häufig mit der Eigenschaft, Kritik (auch aufbauende) zu ignorieren.

      Viel Tangomusik hören ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung, ebenso tänzerische Vorbilder, die man sich haufenweise und kostenlos im Internet anschauen kann.

      Nebenbei: Wieso es im Video ausgerechnet der Tango „Belgica“ von Biagi sein musste, ist ja treuen Lesern hinreichend vertraut. Ansonsten gibt es bekanntlich Hunderte von Musikgruppen, zu deren Aufnahmen ich lieber tanze.

      Zur Fußnote: Ist doch schön, dass es auf der Welt Dinge gibt, die man noch nicht bei Wikipedia nachschauen kann...

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  4. Ich seh das eher andersherum: nach meiner Erfahrung gibt es nur wenige Menschen, die absolut unmusikalisch sind. Wirklich wenige. Bei diesen ist es dann aber (leider) so, dass tatsächlich wenig Gespür durchdringt. Und dafür können diese Menschen auch gar nichts.

    Die meisten Menschen - das liegt einfach in unseren Genen - haben ein natürliches Gespür für Rhythmus, Musik und Bewegung. In jedem Kulturkreis halt anders. Nur ist es wie überall: jene, welche über weniger dieser natürlichen Begabung verfügen, müssen sich vielleicht ein bisschen intensiver mit der Materie auseinander setzen.
    Ich muss da immer an mein "Lieblingsfach" Chemie denken. Eigentlich ??? in meinem Kopf, aber mit ständigem Wiederholen der Grundzüge hab ich dann doch geschafft, nicht durchzufallen ;-)

    Viel Musik hören, Videos schauen, auf der Milonga zuschauen, wie die guten Tänzer das umsetzen - das sehe ich auch so.

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    1. Übrigens macht die rein musikalische Begabung noch keinen guten Tänzer: Die meisten Musiker tanzen eher nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel…).

      Das mit dem „natürlichen Gespür“ sehe ich auch so. Nur gibt man sich in unserer Gesellschaft große Mühe, dies durch „Verkopfung“ klein zu halten. Und den Rest erledigen viele Tangolehrer…

      Bei der Chemie bin ich natürlich positiv voreingenommen. Aber in Mathe ging es mir entsprechend: Hätte es damals 14 Schuljahre gegeben, wäre ich wegen dieses Fachs sicherlich durchs Abitur gefallen!

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  5. PS:
    Mag sein, dass "musikalische" Frauen leichter zu führen sind. Kommt wohl auf den Führenden und dessen Musikalität an. Ein Mann kann seine Vorstellungen, die Musik zu vertanzen, ja leichter umsetzen. Er führt ja. Manchmal muss man als Frau/Folgende da schon höllisch aufpassen, nicht versehentlich das Kommando zu übernehmen...

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    1. Übernimm‘s doch mal absichtlich!

      Für mich ist es mit die aufregendste Sache beim Tango, sich über das wechselseitige Musikempfinden auszutauschen. Ich meine es meistens zu merken, wenn eine Frau die Musik anders empfindet. Dann muss ich meine Art zu tanzen zumindest teilweise darauf abstellen.

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    2. Kommando" übernehmen nein. Dich einbringen aber gern.

      Statt Führen und Folgen gefällt mir am Besten das Begriffspaar proposer/interpreter, welches von Martin Maldonado/Maurizio Ghella stammt.

      Schöne Grüße

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  6. @Harri Bold
    wie würdest du den Unterschied von Follower und Interpreter definieren. Am besten mit einem Beispiel,
    so das man ein sich ein Bild davon machen kann.

    Grüsse Bernd Corvers

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    1. Der klassische Follower macht genau das was, was der Führende möchte.
      Der Interpreter bekommt vom Proposer Spielräume und nutzt sie:

      -Ich beginne eine Linksdrehung. Mir schwebt ein gleichmäßiges und langsames Tempo vor, sie geht dabei Molinette. Sie beginnt mit mir die Linksdrehung, möchte dabei aber eine Verdopplung einbauen, oder aber sie möchte mich ohne Molinetteschritte umkreisen. Kann ich beides mitgehen.

      -Ich mache mit ihr eine Barrida und sie gibt mir zu verstehen, dass sie zurückschieben möchte.

      -Durch eine Parada hat sie Gelegenheit für Verzierungen. Wie viel und wie lange entscheidet sie. Sie kann auch die Art des Ausgangs initiieren.

      Abstrakt ausgedrückt: Ich kommuniziere meine Absicht, lasse ihr aber Raum bei der Art der Ausführung. Das kann zudem vorteilhaft sein bei eventuellen Missverständnissen (in dieser nonverbalen Kommunikation): Ich beabsichtige A, sie versteht aber B.
      (Sicherlich gibt es auch alternativlose Situationen: Wenn ich vorwärts gehe, kann sie nur rückwärts.)

      Schöne Grüße

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  7. Danke für die Antwort. Ich hätte es jetzt so gesehen, ein Ocho geführt und ein Kreuz bekommen. Deine genannten Beispiele, sind die nicht Gang und Gäbe im Tango? Desto mehr mit steigender Erfahrung im Tango, man hat einfach mehr Zeit für die Bewegung. Den reiner "Follower/Leader", denke ich, wird man nur im Figurenabläufer haben. Beide, Follower wie Leader füllen die Rollen nicht wirklich aus, das übernimmt die gelernte Schrittfolge.

    Gruesse Bernd Corvers

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    1. So, wie es Harri Bold beschrieben hat, ist für mich eine wunderbare Art des Zwiegesprächs.
      Nein, Bernd, diese Beispiele sind NICHT Gang und Gäbe. Viele Führende möchten tatsächlich exakt das vom Folgenden, was sie sich vorstellen. Man merkt als Folgende sogar, ob man bei der Barrida schnell oder langsam weitermachen "soll" - ob frau es dann tut, ist die andere Sache ;-) Da bleibt einem als tänzerische Entfaltung vielleicht gerade noch, ob man einen Kringel, einen Tip oder doch wieder einen Schuhabputzer vor'm Drübersteigen macht.
      kurze Zwischenfrage: wie kann man ein Kreuz bekommen, wenn man einen Ocho führt?

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  8. @sandra vielleicht gerätst du zu oft an Tänzer die es immer eilig haben, dann ist keine Zeit für diese Dinge. Ich würde das was Harry meinte nicht mit Verzierungen vergleichen. Interpretieren ist für mich was anderes als das, daher das Bild mit dem Kreuz und Ocho. Geführt wird ein Element getanzt ein anderes wäre was ich unter dem Ausdruck "Interpretieren" verstünde, eine Änderung des Vorgegebenen

    Grüsse Bernd Corvers

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    1. Wie wir die Kommunikation im Paar auch immer nennen, es bleibt die faustische Erkenntnis:

      „Denn eben wo Begriffe fehlen,
      da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
      Mit Worten lässt sich trefflich streiten,
      mit Worten ein System bereiten,
      an Worte lässt sich trefflich glauben,
      von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.“

      Will sagen: Alles, was über das das hundertprozentige Umsetzen der Führung hinausgeht, ist gut, je mehr, desto besser – wie immer wir es nennen. Leider ist das überhaupt nicht der Normalfall. Ich habe selbst Tangolehrer erlebt, die allen Ernstes verkündeten, die Tänzerin dürfe exakt nur das tanzen, was der Mann führe.

      Ich sehe da auch „historische“ Unterschiede: Frauen, die seit mehr als etwa 7 Jahren beim Tango sind, tanzen ziemlich selbstständig. Die später Hinzugekommenen neigen dazu, nur noch zu warten, was an Führung kommt. Typisch für diese Generation ist die Frage „War das jetzt richtig so?“ Tänzerinnen aus der „guten alten Zeit“ würde so etwas nicht in den Sinn kommen.

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  9. Aktuelles Fundstück aus einer Einladung:

    "Damit wir unseren Tanz besser an die verschiedenen Orchester anpassen, haben wir letzte Woche gelernt, die Musik von D’Arienzo und Di Sarli unterschiedlich zu interpretieren. Diese Woche sind die anderen zwei Großen dran: Pugliese und Troilo."

    Da fällt mir nix mehr ein!

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