Pobre Flor: Gefangen im Amaryllis-Rondell



La flor de mi ilusión,
la mató el frío de un invierno
cruel de ingratitud y dolor,
pobre flor,
hoy es sepulcro y paz
de mis ansias de pasión.
Porque no vuelve más
lo que amé con frenesí?

Die Blume meiner Träume,
sie starb an der Kälte
eines grausamen Winters
des Undanks und Schmerzes.
Arme Blume,
heute bist du das Grab und die Ruhestätte
meiner Sehnsucht nach Leidenschaft.
Warum kehrt es nicht zurück,
was ich so wahnsinnig liebte?

(Víctor Spindola, Luis Mottolese: „Pobre flor“, 1938)

„An die schöne Hirtin Amaryllis muss sich wohl der Naturforscher Carl von Linné im 18. Jahrhundert erinnert haben, als er nach einem wissenschaftlichen Namen für diese Blume suchte. Wie ein junges errötendes Mädchen kamen ihm diese Blüten wohl vor, und er gab der Amaryllis noch den Beinamen ‚Belladonna‘ – schöne Frau.“


Nein, man kann es den Veranstaltern wirklich nicht vorwerfen – sie gaben sich alle Mühe, ihren Gästen einen schönen Milongaabend zu verschaffen. Und die goutierten es mit massenhaftem Besuch – über hundert Leute können nicht irren. Die sodann einsetzende Suche nach einem Kleiderbügel, einem Platz am stets vollgestopften Kleiderständer, das Gedrängel in einem Flur mit einem Meter lichter Breite, die abschließende Suche nach den Siebensachen, welche inzwischen zehn Meter weiter verräumt wurden – dies alles gehört ja heute längst zum Tango-Feng Shui… Schwamm drüber (den das Parkett ebenfalls vertragen könnte, aber egal)!

Nein, auch die Musik war wirklich gut ausgewählt und – sogar mit einem Hauch Moderne – über eine professionelle Soundanlage passend vermittelt. Also trotz cabeceoorientierter Rundumbestuhlung und somit höchstens 3 Metern Anmarsch zum deponierten Getränk sicherlich kein Hardcore-Tradi-Event. Dennoch natürlich Tandas & Cortinas, seffaständlich!

Ich hätte zur Musik wirklich gerne getanzt, wenn ich gewusst hätte, wo und vor allem wohin – und wann ich dort ankomme. Am wenigsten lag das am sicherlich hohen Füllungsgrad des Parketts – es war auch nicht höher als beispielsweise auf unserer „Wohnzimmer-Milonga“.

Der Grund war – halten zu Gnaden: Die Mehrzahl der Akteure hat nicht wirklich getanzt, jedenfalls nicht, was ich unter dieser Betätigung verstehe. Aus meiner Sicht gehört hierzu schon einmal ein guter Überblick auf rundum Agierende, ihre vermutlichen Richtungen und Tempi. Weniger zähle ich dazu den manischen Zwang, an Ort und Stelle eine halbe Minute lang Standfiguren zu drechseln, um sodann mit einem kräftigen Rückwärtsschritt (möglichst gefolgt von einer Linksdrehung) hinter sich aufzuräumen. Ebenso wenig kann ich das Ignorieren von drei Meter freien Platzes in Tanzrichtung mit der Natur des Tango als Schreittanz in Verbindung bringen. Fortbewegungstechnisch passte so pro Stück nicht einmal mehr die maximale Öde-Metapher der sprichwörtlichen siebzig Meter Feldweg.  

Wenn, wie bei einem Schulwandertag, die größten Trödler so den Fortgang der Veranstaltung bestimmen, hat man sich halt mit einem bisschen Getrappel am Ort (oder zentimeterweise vorwärts) zu begnügen. Und es ist ja immerhin spannend, ständig heldenhaft herausgereckten Ellbogen und autistischen Fußbeobachtern auszuweichen und dennoch mehr Rempler als sonst einzustecken. Mindestens neunzig Prozent von dem, was man sonst beim Tango gelernt hat, sollte man jedoch vergessen – ist besser so, gibt sonst nur bös‘ Blut… Und immerhin fühlten sich viele, die kaum etwas Gelerntes unterdrücken müssen, zum Ausgleich pudelwohl.

Daher bitte ich alle Tangofreundinnen, die ich an diesem Abend nicht zum Tanz gebeten habe, um Verständnis – mir war nicht ganz klar, zu welchem Behufe ich sie hätte auffordern sollen! Außerdem pflege ich mich in einer solchen Stimmung nur Tanzpartnerinnen zu überantworten, die meine Gesellschaft freiwillig und in Kenntnis meiner Launen suchen.

Das Sinnbild des Abends war für mich ein in zwei fetten Vasen lagerndes Giga-Blumengesteck, welche meine garten-botanisch versierte Begleitung umgehend als der Gattung Amaryllis zugehörig identifizierte. Das ganze Nippes-Ungetüm natürlich zwecks Erzwingung eines Parkett-Rundgangs in der Mitte der Tanzfläche platziert und so noch drei Quadratmeter der Mangelware Raum verstellend. Gibt es auch Pflanzen-Quälerei? Nun, unbesorgt, die blässlichen Ungetüme waren wohl – wie vieles auf dieser Veranstaltung – nicht echt, sondern künstlich. Interessante, individuelle Tanzstile? Ja wie denn, selbst, wenn man es wollte und sogar hinbekäme?

Kann man das noch steigern? Ja! Als ein Showtanzpaar sich zur Vorführung anschickte, wurde der Blumenschmuck diskret entfernt. Ja, wie soll man denn als Profi – gar aus Berlin – auf 170 Quadratmetern um zwei Blumenkübel herumkommen? Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten… Immerhin, so muss man lobend erwähnen, merkte man den Vortänzern an, dass sie viel Spaß am Tango hatten und es gut konnten. Kein Wunder, wenn das Parkett frei und die Amaryllis weg ist… (Sie wurde natürlich nach der Show sofort wieder am alten Platz installiert!)

Nicht nur wegen einer Zigarette musste ich zwischendurch dringend mal raus. Meine Begleiterin und ich guckten wortlos vor uns hin und begannen dann fast gleichzeitig mit der Frage: „Hättest du…“ Darauf setzte ich fort: „Wolltest du gerade das Gleiche wissen wie ich?“ „Ja, hättest du vor siebzehn Jahren, nach einem solchen Erlebnis, mit dem Tango angefangen?“ „Nein, sicher nicht.“ „Ich auch nicht.“

Da passt doch der bis zur Besinnungslosigkeit aufgelegte Retro-Tangovals von der „armen Blume (natürlich von de Angelis gespielt) ganz gut. Weil ich ihn aber nach zirka 2000 tänzerischen Interpretationen nicht mehr hören kann, nehmen wir lieber einen Non-Tango mit ähnlich depressivem Ausdruck:



P.S. Vielleicht brauchen manche Leute tatsächlich die vielen Códigos. Nur schade, dass sie bei denen auch nichts verändern…

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