Corona-Krisenmanagement


Katastrophen haben auch ihr Gutes: Man lernt seine Mitmenschen viel besser kennen.

Ich sehe derzeit grob drei Reaktionsmuster, wie man mit der Krise umgeht:

Wer den Mut hat, Facebook-Seiten wie „Tango und Corona“ zu verfolgen (was ich nur mit mentaler Schutzausrüstung empfehlen kann), beobachtet mit Grausen, wie einstige Eventfotografen und EdO-Experten im Schnellkurs zu Virologen und Epidemiologen umgeschult haben und nun die staunende sowie sensationslüsterne Leserschaft mit Endzeit-Nachrichten erfreuen.

Täglich werden neue Statistiken und (mehr oder weniger) wissenschaftliche Artikel verlinkt, welche den eigenen Ansichten entsprechen, und einer fachmännischen Gruppendiskussion unterzogen. Ich mag da nichts mehr zitieren schlimm genug, wenn es dort steht.

Dabei gilt natürlich: Sieger ist der Überbringer der schlechtesten Nachricht – ohne natürlich, wie es früher guter Brauch war, einen Kopf kürzer gemacht zu werden (würde die Gesamtlänge wohl auch nicht wesentlich verringern…).

Nun habe ich vor knapp 50 Jahren einmal Biologie studiert, zahlreichen Leistungskursen die Grundzüge der Molekulargenetik beigebracht und sogar Dutzende von Kandidaten im Staatsexamen geprüft. Wenn es dabei um dieses Spezialfach ging, musste ich mich bei den Fragen des Professors öfters bemühen, ein intelligentes Gesicht zu machen: Ich hatte manchmal keine Ahnung, worüber der Ordinarius überhaupt sprach. Zweifellos: In diesem Fach ist seit meiner Uni-Zeit das menschliche Wissen geradezu explodiert!

Daher würde ich mir nie anmaßen, hierzu Fachliches beizutragen. Ich weiß zwar gerade noch, was ein Retrovirus ist, was eine DNA von einer RNA unterscheidet, was man sich unter einem Capsid und einer Lipiddoppelschicht vorstellen kann, woraus so ungefähr die glykolisierten Spikes-Proteine der Corona-Viroide bestehen und welche Funktionen sie haben. Das reicht aber bei Weitem nicht.

Dennoch möchte ich in den Teppich beißen, wenn immer wieder davon gesprochen wird, was Viren „abtöten“ könne. Zur Info: Die Dinger sind keine Lebewesen: Stoffwechsel, Bewegung, Reizbarkeit – alles Fehlanzeige! Daher benötigen sie eine lebende Wirtszelle, welche ihr Erbprogramm umsetzt: Bau neuer Viren, Selbstaufgabe der befallenen Zelle. Letztlich sind Viren Vollidioten, welche nur auf Fortpflanzung aus sind – von der sie lediglich wissen, wie‘s geht. Selber können sie nix.

Womit wir wieder bei gewissen Facebook-Schreibern wären: Exponentielle Vermehrung, um andere in Angst und Schrecken zu versetzen – wildgewordene Erbinformation hier, hysterisches Gezeter dort. Beides höchst parasitär.

Und klar, diese Sorte gefühlter Experten weiß nun ganz genau, was man früher hätte unternehmen müssen, um die heutige Seuche locker bekämpfen zu können. Politiker, Behörden: alles Versager, weg damit! Was sie wohl vor einem halben Jahr geschrieben hätten, wenn man vorsichtshalber mal locker 50000 steuerlich finanzierte Beatmungsgeräte auf Lager gelegt hätte? Man kann ja nie wissen – vielleicht brauchen wir’s mal…

Sicher: Wir haben seit vielen Jahren das Gesundheitssystem privatisiert und mit Sparmaßnahmen heruntergefahren, die Pflegeberufe finanziell unattraktiv gehalten, die medizinische und pharmazeutische Produktion in Billiglohnländer ausgelagert. Das rächt sich nun: Geiz ist geil, aber nicht sehr gesund. Es soll ja auch im Tango Leute gegeben haben, die sich über die Erhöhung von Milonga-Eintrittspreisen echauffiert haben und die Wasserflasche auf dem Klo auffüllten. Ich fürchte da so manche Personalunion. Doch derzeit ist Heuchelei mindestens so ansteckend wie Corona.   

Ich glaube nur, das Geschimpfe wird keinen einzigen Patienten heilen. Übrigens ebenso wenig wie die Szenen aus italienischen Intensivstationen, die uns die Medien stündlich vorführen. Man könnte stattdessen mindestens ebenso oft aufzeigen, dass sich unser Gesundheitssystem – bei allen Schwächen – weltweit ziemlich gut sehen lassen kann. Ich bin jedenfalls sehr froh, derzeit in Deutschland zu leben und nicht in Spanien, Großbritannien oder den USA – von Entwicklungsländern ganz zu schweigen.

Ich meine, wir sollten auf Krisen nicht mit Panik reagieren, diese aber öfters im normalen Alltag entwickeln. Seit vielen Jahren beklagen Einzelkämpfer das Dahinvegetieren von Senioren in manchen Pflegeheimen – psychisch und oft auch medizinisch. Früher starben die Insassen zu Zehntausenden „nur“ an Lungenentzündung, Sepsis oder Influenza. Oder an Vernachlässigung und Einsamkeit. Oder an den Wechselwirkungen einer Vielzahl von Medikamenten, die niemand ernsthaft überprüfte. Die entsprechenden Medienberichte hielten sich in engen Grenzen. Nun gibt ihnen Corona den Rest – und das Fernsehen berichtet stündlich. Freilich: Die Pflegekräfte haben keine Schuld. Lebensqualität-verkürzend ist das System.  

Gut verzichten könnte ich dagegen darauf, dass nun offenbar jeder Virologe, Infektiologe oder Intensivmedizin-Chefarzt mehrere Fernsehtermine täglich hat, um uns darauf hinzuweisen, dass wir einen Abstand von zwei Metern zu unserem Nächsten einhalten sollen und man noch nix Genaues sagen könne. Besten Dank, habe ich längst kapiert! Ich finde, die Damen und Herren wären derzeit an ihrem Arbeitsplatz besser aufgehoben als in Talkshows.

Interessanterweise nimmt die Endzeit-Debatte in den letzten Tagen einen weiteren, aber nicht klügeren Verlauf: Werden die bösen Politiker uns nun dauerhaft von den Grund- und Bürgerrechten fernhalten, endgültig den „Überwachungsstaat“ etablieren? Vulgo: Lassen die uns nie mehr raus? Ich bin da optimistisch: Die meisten Regierungsvertreter haben ja Partner und oft auch Kinder. Die Freude, sich mit diesen das „Home Office“ zu teilen, die Blagen wochenlang im Hausarrest zu bespaßen, den Lebensgenossen fast täglich um sich zu haben, sich vielleicht sogar an der Hausarbeit beteiligen zu müssen, dürfte sich in engen Grenzen halten. Da sinnt man, so es irgendwie zu verantworten ist, sicher gern auf Abhilfe…

Wesentlich besser komme ich da mit Leuten zurecht, die nun haufenweise lustige Karikaturen oder Videos zum Thema teilen – schon deshalb, weil es die Apologeten der Finsternis ärgert. Mein Favorit ist derzeit der Mundschutz für Frauen: ein Klebeband! Für mich gilt nach wie vor: Lachen ist die beste Medizin. Es darf sogar politisch korrekt sein!

Noch mehr erwärmen mein Herz in diesen Zeiten aber Menschen, die sich weder in Gezeter noch Zynismus üben, sondern schlicht und einfach überlegen, wie sie praktisch nützlich sein können: Da nähen Hausfrauen Gesichtsmasken für die örtliche Klinik, junge Menschen liefern an Senioren oder Tafel-Kunden Lebensmittel aus, Kinder und Enkel telefonieren mehrmals täglich mit der Oma, damit sie sich nicht so einsam fühlt. Reservisten melden sich zurück zur Bundeswehr. Textilproduzenten stellen auf Schutzmasken um, und Schnapsfirmen liefern Alkohol für Desinfektionsmittel. Wahrlich: In Krisen ist kein Platz für Ideologie, sondern Pragmatismus.

Auch in unserem Dorf machen wir fast täglich solche Erfahrungen: Nachbarn fragen an, ob sie uns etwas besorgen oder abtransportieren können. Spielpläne für unsere „Abendmusik“ machen per WhatsApp die Runde, Karin verschickt Dateien mit Noten an die Chormitglieder. Mit jedem Abend füllen sich die Fenster und Balkone in der Umgebung mehr, es wird mitgesungen – und selbst aus größerer Entfernung erhält Karin anschließend begeisterte Rückmeldungen. Junge Leute, die irgendwann mal ein Instrument gelernt haben, aber seit Jahren nicht mehr spielten, packen es nun wieder aus und tun mit.

Die Botschaft ist so simpel wie hilfreich: Es geht uns gut, wir lassen uns die Musik nicht von einem depperten Virus kaputtmachen! Ich fürchte, wir hätten weniger Zuspruch, wenn wir allabendlich die neueste Corona-Statistik vorlesen würden…

Und wenn ich nun die Klagen vieler Tangolehrer und Veranstalter höre, so bin ich zwar gerne bereit, zu helfen. Ich sage aber auch: Es gibt Arbeit genug – auch in Pörnbachs landwirtschaftlichen Betrieben. Und ich zahle heuer gerne das Doppelte pro Kilo Spargel, damit der Verdienst nicht beim Mindestlohn endet – in der Hoffnung, dass man nächstes Jahr auch die Rumänen und Polen besser entlohnt. Und wenn die Tango-VIPs auch bislang um unser Dorf einen weiten Bogen machten – vielleicht ist ja heuer wenigstens das Spargelstechen attraktiv?

Heute hörte ich eine Stellungnahme von Wolfgang Grupp, dem Inhaber der 1919 gegründeten Burladinger Trikotagen-Firma „Trigema“. Das Unternehmen produziert nach wie vor ausschließlich im Inland. Man hat nun auf Schutzmasken umgestellt und liefert täglich 20000 Stück aus.

Grupp sagte: „Wir haben weder staatliche Beihilfen beantragt noch Kurzarbeit angemeldet. Wir pflegen nämlich unsere Probleme selber zu lösen.“

Ich gestehe: Solche Sätze würde ich gerne mehr hören.

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