Was man bei Corona alles falsch machen kann

 

Kürzlich übersandte mir ein Leser längere Abhandlungen zur Corona-Krise – so, wie er sie sieht. Ich möchte ihm dabei keinerlei extremistische Ideen unterstellen. Ob er sich selber als „Querdenker“ versteht, überlasse ich seinem eigenen Urteil. Jedenfalls betont er immer wieder, dass er für Versöhnung und gegen Spaltung der Gesellschaft sei. Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln. Daher finde ich solche Diskussionen wichtig und spannend.

Unter anderem schickte er mir die folgende Aufstellung:

„Die Entwicklung seit Anfang des Jahres 2020 war (wie ich sie wahrnehme):

• Lockdown, um die Belegungskurve zu drücken - ein digitales Impfzertifikat ist ein Verschwörungsmythos.

• Baumwollschaal, 1,5 Meter mit Abstandsapp und Händewaschen - Zwangsimpfung ist ein Verschwörungsmythos.

• Der PCR-Test ist der Goldstandart - Falsch-Positive und falsch-Negative sind absolute Randerscheinungen.

• Medizinische Masken sind Pflicht! Bis die freiwillige Impfung kommt - Impfungen von Minderjährigen sind eine Verschwörungstheorie.

• Impfung für die über-60-jährigen. Nein, doch die unter 30-Jährigen, nein doch lieber eine Kreuzimpfung. Wer sich darüber wundert leugnet die Wissenschaft.

• Eine bedingte Zulassung ist alles andere als eine Notfallzulassung! Wer so etwas behauptet ist ein Schwurbler. Die Impfstoffe sind sicher – Teleskopie hin oder her.

• Absolute Effektivität oder relative Effektivität - wo soll denn da der Unterschied sein?

• Bei einer Impfquote von 70% ist die Pandemie vorüber: Die Impfung immunisiert nämlich ein Leben lang - Zweifler negieren die Wissenschaft.

• Achtung Long-Covid! Doch Langzeitnebenwirkungen der Impfung sind ausgeschlossen. Sagt die Mehrheit der Mediziner.

• Vulnerable Gruppen brauchen eine zweite Impfung. Noch einen solidarische Monat für alle - Impfnebenwirkungen sind reinste Verschwörungstheorie.

• Doppelt geimpft ist nicht ausreichend. Ein Booster wird uns erlösen - aber nur wenn auch alle mitmachen. Zweifler negieren die Wissenschaft.

• Impfen ist die einzige Lösung aus der Pandemie – aber die Nationale Notlage pandemischer Tragweite brauchen wir nicht zu verlängern.

• Impfmuffel sind die Treiber der Pandemie - denn ein negativer Test hat keine Aussagekraft.

• Ein negativer Test hat keine Aussagekraft - aber der PCR-Test ist unser notwendiger Goldstandart für alle Geboosterten, um ihren Ehemann in der Therapieeinrichtung zu sehen.

• Delta, Omicron, ‚Flourona‘-Alarm: gemeinsame Spaziergänge von Zweiflern sind absolut staatsgefährdend.

• Als Ladenbesitzer ist 1G+ mein gutes Grundrecht, ich nehme nur wahr, mit welchen Leuten ich Kontakte will oder auch keinen.  ...Aber Geschichtsvergleiche verbitte ich mir.“

Ich hoffe, er sieht manches in dem Text als satirische Überspitzung. Und ich mag mich jetzt auch nicht an einzelnen Falschbehauptungen abarbeiten, die hier in Süffisanz eingearbeitet wurden. Beispielsweise ist seit Jahrzehnten bekannt, dass viele Impfungen nicht lebenslang immunisieren. Und Verschwörungsmythen beziehen sich nicht auf die Impfungen Minderjähriger – sondern behaupten eher, dass uns mit dem Vakzin Mikrochips und ähnlich Versponnenes reingedrückt werden. Oder dass es einen „Great Reset“ gibt.

Was mich grundsätzlich an diesem Text stört, ist eine Tendenz, gegen die ich auch beim Tango seit vielen Jahren anschreibe: Unser Tanz sei eine Betätigung, bei der man vor allem viel falsch machen könne – unkorrektes Auffordern, ungeeignete Musik, verbotswidrige Art der Parkettbenutzung und anderes.

Daher bin ich davon überzeugt: Wer sich beim Tango, bei Corona oder in zahlreichen anderen Lebensbereichen auf Fehlersuche begibt, beschreitet den Holzweg.

Als ich die obige Aufstellung las, war mein erster Impuls: Ich könnte locker eine zehnmal so lange Liste von Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten in dieser Welt aufstellen, die mich seit mehr als 50 Jahren stören. Nur: Was bringt es, diese von der Seitenlinie aus penibel zu notieren? Besser wäre es doch, sich positive Ziele zu setzen und zu versuchen, diese wenigstens ansatzweise zu erreichen!

Vor allem aber wird in dieser Liste so getan, als habe man zu Beginn der Pandemie schon alles wissen können, was sich erst im Laufe der Zeit herausstellte. Nur haben halt die bösen Regierenden zunächst dem dummen Volk irgendeinen Quatsch erzählt. Und erst durch den Protest der „Wachschafe“ habe man dann Stück für Stück mit der Wahrheit herausrücken müssen.

Vom Physiker und Kabarettisten Vince Ebert stammt der schöne Satz, die Wissenschaft „irre sich nach  oben“. Will sagen: Falsifizierbarkeit ist die unverzichtbare Basis aller Hypothesen. Das kann den Kritikern der Corona-Maßnahmen nicht unterlaufen: Sie haben ja die ewige Wahrheit längst gefunden!    

Zudem verkennt man grundlegend, dass wir eben – entgegen allen Behauptungen spazieren gehender Wahrheitseigentümer – keine Diktatur sind, sondern eine offene, ziemlich komplizierte demokratische Gesellschaft. Entscheidungsprozesse verlaufen also oft quälend langwierig und um drei Ecken herum. Dass dabei schlimme Verzögerungen und auch krasse Irrtümer passieren, ist systemimmanent. Nur: Man kann und wird sie meist auch korrigieren – mit der Zeit.

Das alles ginge viel schneller, wenn bei uns die behauptete autoritäre Staatsform herrschte: Da würde mit einer Stimme rasant von oben her durchregiert. Starke Männer gibt und gab es ja von Brasilien über die Türkei bis Russland genug. Der Nachteil: Korrigiert wird da selten etwas – auch wenn es sich um gefährlichen Blödsinn handelt, unter dem dann das Volk leidet.

Klar darf und soll man politische Fehlentscheidungen kritisieren – und nicht nur wegen des Internets kann man dies auch öffentlich tun. Ob man dabei Versammlungs-Auflagen ignorieren und mit dem Kinderwagen voran Polizeiketten durchbrechen sollte, halte ich für fragwürdig. Man setzt sich dadurch nämlich dem Verdacht aus, dass es mehr um Krawall geht denn um öffentliche Propagierung von Ansichten, mit denen sich die Gesellschaft wahrlich genug beschäftigt.

Vor allem aber sollte man sich positive Ziele setzen. In unserem Dorf ist von „Querdenkern“ kaum etwas zu hören. Geimpft zu sein gilt als normal, ohne dass man darüber viel diskutiert. Und wer es nicht tut, wird auch kein Haberfeldtreiben erleben. Wohl aber ist man stolz darauf, dass unser Kirchenchor alle Einschränkungen tapfer ertragen hat und immer noch sehr aktiv ist. Daran hat meine Frau einen gewissen Anteil.

Dazu beigetragen hat sicher auch, dass Karin mit ihrer Chor- und Musikpartnerin Bettina seit März 2020 bis Juni 2021 insgesamt 110 „Abendkonzerte“ veranstaltet hat: Zum Zuhören von Fenstern und Balkonen oder von der Straße aus. Dieses Format erlaubte uns, nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften unterscheiden zu müssen. Gerade in der ersten Zeit des völligen Lockdown hat die Musik bewirkt, Trost und Freude zu schenken, den Optimismus zu erhalten, es würde schon wieder besser werden. Und nicht, die Mitmenschen mit Apokalypse-Propaganda herunterzuziehen sowie Misstrauen und Hass gegen die Regierenden zu erzeugen.

Wer mag, darf das alles gerne nachlesen:  

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/03/pornbacher-abendmusik.html

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/11/abendmusik-die-zweite.html

In der Pörnbacher Nachbarschaft hat uns das sehr viel Lob eingebracht. Darüber hinaus blieben meine beiden Artikel weitgehend ohne große Resonanz. Auf Schwurbler-Kanälen dagegen tummeln sich Hunderttausende. Klar: Fehler anzuprangern und utopische Heilsversprechen zu verkünden bringt halt mehr Publikum.

Wir haben stattdessen ein wenig Musik gemacht. Darauf sind wir stolz.
 

Kommentare

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